piwik no script img

Ökonom über die Krise der EU„Den Aufgaben nicht gewachsen“

Ökonom Giacomo Corneo hält eine eurpäische Verschludung für notwendig. Die Zukunft Europas müsse jedoch jenseits des griechischen Falls entschieden werden.

Die Zukunft Europas ist ungewiss. Bild: Imago/McPhoto
Ulrike Winkelmann
Interview von Ulrike Winkelmann

taz: Herr Corneo, müssen linke Ökonomen ihre Meinung übers Schuldenmachen revidieren?

Giacomo Corneo: Ich glaube nicht, dass linke Ökonomen eine einheitliche Auffassung vom Schuldenmachen haben.

Die meisten sozialstaatstreuen Wirtschaftswissenschaftler verlangen aber doch stets schuldenfinanzierte Investitionsprogramme – so auch jetzt in der Eurokrise. Aber lehrt nicht gerade diese Krise, dass Staatsschulden ein größeres Problem sind als bislang vermutet?

Ich glaube, dass die Frage nach der Wünschbarkeit öffentlicher Schulden keine gute Frage für linke Ökonomen ist. Denn entscheidend ist immer, was mit den Mitteln gemacht wird, die aufgenommen werden. Ob der Staat damit Krippenplätze finanziert – oder Kanonen. Die Effekte öffentlicher Schulden sind dagegen zweitrangig.

Die Effekte sind zurzeit, dass die Finanzmärkte die hochverschuldeten Staaten vor sich hertreiben und diese Länder durch weiter steigende Zinsen erdrosselt werden.

Und doch spricht vieles dafür, dass in der derzeitigen Lage Verschuldung sinnvoll ist, um Arbeitslosigkeit und fehlendes Wachstum zu bekämpfen. Statt reine Austeritätspolitik à la Angela Merkel zu betreiben, lohnt es sich, zwischen Europa und den verschiedenen Einzelstaaten zu differenzieren und unterschiedliche Formen der Verschuldung anzustreben. Eine europäische Verschuldung, also eine Vergemeinschaftung eines Teils der europäischen Schulden, erscheint mir aktuell notwendig, um die Finanzmärkte in den Griff zu bekommen. Das funktioniert allerdings nur – in dieser Hinsicht hat Angela Merkel recht –, wenn die Nationalstaaten einen Teil ihrer finanzpolitischen Souveränität an eine europäische Institution abgeben.

privat
Im Interview: GIACOMO CORNEO

48, lehrt Volkswirtschaft an der FU Berlin. Er forschte an den Unis Berkeley und Yale und gehörte dem Beraterstab des französischen Finanzministeriums an. 2006 erschien: „New Deal für Deutschland“.

Super: Das Haushaltsrecht der Parlamente, damit der Parlamentarismus selbst und also die Demokratie, wie wir sie kennen, werden einer EU-Finanzkontrollbehörde geopfert.

Es soll eine demokratisch legitimierte Institution sein, und dies wäre ein notwendiger Schritt in Richtung eines föderalen Europas. Der Verlust parlamentarischer Souveränität ließe sich begrenzen, wenn die Nationalparlamente weiterhin ganz frei über die Zusammensetzung von Einnahmen und Ausgaben entscheiden könnten, während die Europäische Union bloß ein Veto über den Saldo genösse.

Erklären Sie doch mal den WählerInnen in der Bundesrepublik Deutschland, warum sie hierzulande die Schuldenbremse akzeptieren und gleichzeitig für die Schulden der Südeuropäer auf ewig mit haften sollen.

Die Schuldenbremse birgt die Gefahr einer schleichenden Verschiebung der Grenze zwischen öffentlicher und privater Bereitstellung fundamentaler öffentlicher Güter und sollte nicht akzeptiert werden. Es mag auch sein, dass der Weg in die Vergemeinschaftung aus deutscher Sicht gefährlich ist. Als Europäer sage ich, es ist die bessere Entscheidung.

Aber als jemand, der in Deutschland lebt, erkenne ich das Risiko an, dass die Bundesrepublik in einem stärker integrierten Europa in eine Minderheitenposition geraten könnte. Populisten in Ost- und Südeuropa könnten dann Entscheidungen treffen, die den deutschen Bürgern schaden.

Vielleicht hat Merkels viel geschmähte Blockadepolitik also doch gute Gründe?

Die Blockade kommt von der Komplexität der Probleme und daher, dass die Bundesregierung den Aufgaben nicht gewachsen zu sein scheint. Es geht dabei weniger um Merkel selbst als um ihre Entourage. Französische Spitzenbeamte zum Beispiel sind oft besser ausgebildet und gerüstet für die Jahrhundertentscheidungen, die derzeit getroffen werden müssen. Da zahlt sich ein höherer Stellenwert des Staates in Form einer hochwertigen Besetzung dieser Ämter aus.

Doch es sieht nun wirklich nicht so aus, als wäre das griechische Problem mit einer EU-Finanzkontrolle zu lösen.

Griechenland ist ein absoluter Extremfall, es hat einen Sonderweg vor sich. Die Zukunft Europas muss jenseits des griechischen Falls entschieden werden.

Soll heißen: Ohne Griechenland in der Gemeinschaft – oder ohne Griechenland im Euro?

Der Ausgang, den die bedrohliche Lage in Griechenland nimmt, ist gänzlich ungewiss. Europa aber ist nicht deshalb in einer miesen Situation, weil es Schulden hat – die sind nicht höher als in den Vereinigten Staaten oder in Japan. Es hat aber keine richtige Zentralbank wie die USA oder Japan, die imstande wäre, spekulative Attacken gegen Staatsanleihen abzuwehren. Dies erhöht die Risikoprämien und die Refinanzierungskosten der Eurostaaten, vergrößert ihre Verschuldung und macht es für die betroffenen Länder schwieriger, aus einer Rezession herauszukommen. Die fehlende Macht der Europäischen Zentralbank oder einer europäischen Finanzbehörde, Staatsanleihen zu kaufen, ist ein schweres Handicap.

Auch die EZB kann nur mit dem Geld der Steuerzahler einspringen – oder Geld drucken und die Bürger via Inflation enteignen.

Diese Bürger werden aber schon die ganze Zeit verdeckt enteignet, indem die EZB den Privatbanken Geld zu Minizinsen leiht, das diese zu hohen Zinsen den Staaten leihen.

Macht das die Sache besser? Sind nicht zufällig die Banken auch die Hauptprofiteure der Verschuldungspolitik? Ihre Aktionäre bekommen das Geld, das die Steuerzahler als Zinsen zahlen.

Richtig ist, dass die Finanzakteure – etwa die Deutsche Bank oder die Allianz Versicherung – davon profitieren, dass sie engmaschig an den Entscheidungen der Bundesregierung beteiligt werden und auf diese Weise einen gewissen Wissensvorsprung erlangen. Dieses Wissen nutzen sie vermutlich beim Erwerb der Staatspapiere. Das macht aber die Notwendigkeit einer Teilvergemeinschaftung der öffentlichen Verschuldung auf europäischer Ebene nur noch klarer.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • I
    ijoe

    Der staatsfinanzierte, lebenszeitverbeamtete Ökonom muss schon aus Eigeninteresse für Staatsschulden eintreten. Wovon sollte er sonst bezahlt werden.

     

    Staatsschulden sind Betrug des Bürgers mit seinem eigenen Geld:

    Erst leiht der Staat das Geld (letztlich vom Bürger) und gibt es ihm gleich wieder zurück (Subventionen, Gehälter usw.).

    Dann sagt er ihm: Später, lieber Bürger, kriegst du das Geld wieder zurück (das wir jetzt schon ausgegeben haben), und zwar mit Zinsen.

    Der Bürger wird mit seinem eigenen Geld bestochen.

    Staatskritik sollte mal hier ansetzen.

  • B
    Bachsau
  • B
    Bachsau

    Wenn man diesen ganzen Kram liest, hört sich das immer so an, als wäre der Euro kein "richtiges" Geld. Und ein bisschen ist es ja auch so, denn die Mark gilt immernoch als Währung, und würde man jemand fragen, welches Geld wir in Deutschland hätten, wenn der Euro geht, wäre die Antwort: Die De-Mark.

     

    Papiergeld und Münzen sind allerdings längst geschreddet und eingeschmolzen. Trotzdem scheint es, als sei sie nach wie vor die natürliche, zu Deutschland gehörende Währung, und der Euro nur "drüber gemalt". Doch die De-Mark ist tot, und hoffentlich bald auch ganz.

     

    Hätten wir sie wieder, und würde sie scheitern, so ist die Antwort auf die Frage, welche währung wir dann bekämen wohl nicht mehr zu beantworten. Und stellt euch vor, der Dollar stirbt. Womit bezahlen die USA? Bestimmt nicht mit englischen Pfund!

  • V
    vagant

    also wenn man erst diesen artikel liest www(punkt)steuerboykott(punkt)de und dann den taz artikel, bekommt man gut und gerne ein unschönes grummeln, vom stammhirn bis in den oberbauch...

  • EA
    Enzu Aduro

    "Die Schuldenbremse birgt die Gefahr einer schleichenden Verschiebung der Grenze zwischen öffentlicher und privater Bereitstellung fundamentaler öffentlicher Güter und sollte nicht akzeptiert werden."

     

    Nein. Die Schuldenbremse zwingt die Staaten dazu endlich die "Eier" zu zeigen und sich bei der Generation die Steuern zu holen, bei der Sie die Ausgaben tätigt. Das hat gar nichts mit hoher oder niedriger Staatsquote an sich zu tun!

  • R
    reblek

    "Ökonom Giacomo Corneo hält eine eurpäische Verschludung für notwendig." - "Verschluderung" wäre noch besser gelungen.

  • D
    deviant

    Dieses Interview enthält eine ganze Reihe von Denkfehlern, von denen ich die meiner Meinung nach zwei gravierendsten nennen will: Nicht "die Finanzmärkte" treiben Griechenland, Spanien und Co., die sind nur die Jagdhunde der EU unter Führung Deutschlands. Merkels Politik pumpt Geld in die Banken, damit die dann Geld an Griechenland teuer verleihen, welches damit seine Schulden bei den Banken zurückzahlen soll. Ökonomisch ist das an Stumpfsinn kaum zu überbieten, wenn man behauptet, man wollte Griechenland retten.

     

    Da wäre aber noch Denkfehler Nummer zwei: "Deutsche Steuerzahler pumpen viel Geld nach Griechenland, Spanien und Co." Auch das ist reiner Bullshit, Deutschland hat bisher an der Krise verdammt gut verdient. Da wären zum einen die direkten Zinseinnahmen, die sich auf über 30 Mrd € summieren und zum anderen der schwach gehaltene Euro, der zu Lasten der anderen EU-Staaten, aber auch Drittstaaten wie der Schweiz geht und einseitig dem deutschen Exportmodell hilft, weil er deutsche Waren weltweit verbilligt. Ökonomen gehen hier von weiteren rund 70 Mrd € aus, die Deutschland hierdurch zusätzlich verdient hat, von Zahlmeister kann da keine Rede mehr sein, zumal das deutsche Exportmodell auch innerhalb der EU für Probleme sorgt und indirekt für die Krise verantwortlich ist.

     

    Die Frage muss sein, ob sich die EU ein Deutschland mit offener Lohnsklaverei und staatlich massiv subventionierten Billiglöhnern leisten kann, dessen Binnenmarkt kaum noch der Rede wert ist, und das durch seine Billigstprodukte auch die Märkte der anderen Staaten zerstört.

    Die Frage ist nicht: "Muss Griechenland raus aus dem Euro?", sondern: "Muss Deutschland raus aus dem Euro?". Das deutsche Modell funktioniert nämlich auf Dauer nur, wenn es ganz egoistisch für sich allein steht und die wirtschaftlichen Gegner Währungsanpassungen durchführen können.