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kommentarChapeau, Herr Schröder!

In den letzten drei, vier Wochen ist ein kleines Wunder geschehen. Rot-Grün, längst abgeschrieben, hat eine handfeste Chance, die Wahl zu gewinnen. Wer das Anfang August prophezeit hätte, wäre für weltfremd gehalten worden – und wer behauptet hätte, dass Schröder dank eines klaren Antikriegskurses Kanzler bleiben könnte, für nicht ganz bei Trost.

Doch genau so sieht es nun aus. Das SPD-Hoch ist kein Erfolg der Kampa und raffinierter Image-Inszenierungen. Der rot-grüne Aufschwung hat zwei Gründe: den Zufall (die Flut) und die praktische Intelligenz von Gerhard Schröder.

 Zur Erinnerung: Dass der Irakkrieg in den Wahlkampf gehört, forderten vor zwei Monaten einzig ein paar unermüdliche Friedensforscher. Als Schröder vor fünf Wochen den SPD-Wahlkampf genau damit eröffnete, hielten das auch manche Grüne für eine kopflose Flucht nach vorne – als probe die SPD schon mal ihre neue Rolle als Opposition. Zumal Wahlen doch bekanntlich mit Themen wie Arbeitslosigkeit und Wachstum gewonnen werden – und nicht mit Außenpolitik.

 Doch Schröder riskierte das Unwahrscheinliche – und hat Erfolg. Und zwar aus zwei Gründen. Die SPD kann sich dieses Nein leisten, weil ihre Fähigkeit, Krieg führen zu können, erwiesen ist. In gewisser Weise streicht Schröder die Dividende des Kosovo- und Afghanistankrieges ein. Deshalb hat Edmund Stoiber, der dem Kanzler gestern im Parlament Antiamerikanismus vorwarf, sein Ziel auch so weit verfehlt. Schröder, der wegen des Afghanistankrieges die Vertrauensfrage stellte, als Gesinnungsfundi anzugreifen, ist grotesk. Schröders Nein zum Irakkrieg ist vielmehr eine Lektion in postideologischer Politik: Es gewinnt, wer über mehr Images und Handlungsmöglichkeiten verfügt. Schröder kann Ja und Nein zu Kriegen sagen, Stoiber offenbar nur Ja – oder Ja, vielleicht.

 Zweitens: Der Kanzler hat Recht. Grund und Ziel dieses Krieges sind unklar, die Risiken unabsehbar. Richtig ist, dass Schröders Position einen Defekt hat: Sie schwächt die Drohung gegen Saddam Hussein ab. Doch dieser Mangel verblasst, wenn man George W. Bush zuhört und begreift, dass es längst nicht mehr um Drohungen und UN-Waffenkontrolleure geht – sondern darum, wann Saddam gestürzt wird. Auf Bush gibt es nur eine vernünftige Antwort: Ohne uns.

 Natürlich hat der Auftrieb der SPD mehr Gründe. Zum Beispiel eine freundliche Dramaturgie. Ron Sommer und Rudolf Scharping, die (warum gleich noch?) gefeuert wurden, sind vergessen. Der Kölner Spendensumpf, in dem die Wahlhoffnungen der NRW-Genossen untergingen, ist zum Regionalthema herabgesunken. Die SPD hat viel Glück – und Schröder den praktischen Verstand, das Unwahrscheinliche zu wagen. Wenn Rot-Grün gewinnt, wird das – mehr als 1998 – sein Sieg sein. STEFAN REINECKE

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