piwik no script img

kinotipp der wocheUnprätentiös durch die Genres

Cineastischer Jahresrückblick: „Around the World in 14 Films“ bringt weltweite Festivalhighlights in drei Berliner Kinos

Jawu (Temiloluwa Ami-Williams) lebt mit ihrem Sohn in einem der Slums am Wasser in Lagos. Die Hütten sollen schon bald einem Immobilienprojekt weichen und entsprechend verschärfen die Behörden der Stadt ihre Aufmerksamkeit für Menschen, die sich als Straßenhändler_innen ihren Lebensunterhalt verdienen. Kurz bevor die Bagger kommen, beobachtet Jawu, wie ein Mann in einer Luke in einer der Hütten eine Tasche versteckt. In der Tasche befindet sich das Geld, das ein korrupter Politiker für das Bauprojekt beiseitegeschafft hat. „The Legend of the Vagabond Queen of Lagos“ wurde realisiert vom Agbajowo Collective und erzählt in fiktionalisierter Form die Geschichte der Vertreibungen aus der Siedlung Otodo Gbame in Lagos 2016/7. Der Film feierte im September auf dem Filmfestival in Toronto Premiere. Nun ist er auch Teil der diesjährigen Auswahl von „Around the World in 14 Films“.

Die Perlenlese der diesjährigen Festivals beginnt am Freitag dieser Woche mit Mohammad Rasoulofs „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, dem Versuch des Regisseurs, die Proteste von Frauen und verbündeten Regimekritikern im Iran in ein thrillerartiges Familiendrama einzuweben.

Vor zwei Jahren feierte Kurdwin Ayubs Spielfilmdebüt „Sonne“ seine Premiere in der unterdessen eingestellten Reihe „Encounters“. In diesem Jahr folgte ihr zweiter Spielfilm „Mond“, der auf dem Filmfestival in Locarno seine Weltpremiere hatte und mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Eine deutliche Niederlage gegen eine jüngere Konkurrentin beendet die Karriere der Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Sarah (Florentina Holzinger). Als ein junger Mann aus Jordanien auf der Suche nach einer Trainerin für seine Schwestern ist, scheint das für Sarah genau zur richtigen Zeit zu kommen. Schon kurz darauf lernt sie die drei jungen Frauen kennen. Doch schnell stellt sich heraus, das die drei Frauen alles andere als frei sind und sie sich auf einen Auftrag eingelassen hat, der deutlich mehr von ihr verlangt als bloßes Training. Zu den großen Stärken von Ayubs Film zählt, dass sie einen Weg findet, patriarchale Strukturen zu erzählen, ohne auf plumpe Personifikationen zurückzufallen.

In Christoph Hochhäuslers „Der Tod wird kommen“, der ebenfalls in Locarno Premiere feierte, wird kurz hinter der Luxemburger Grenze ein Kurier von der Polizei gestoppt. Versteckt in einem Bild wird eine beträchtliche Summe Geld in Banknoten gefunden. Wenig später wird der Kurier in einem Hotelzimmer erschossen. Das Geld gehörte Charles Mahr (Louis-Do de Lencquesaing), einem in die Jahre gekommenen Gangsterboss, er war es auch, in dessen Auftrag der Kurier unterwegs war. Nun soll die Auftragskillerin Tez (Sophie Verbeek) den Mörder zur Rechenschaft ziehen. Hochäusler inszeniert die Handlung seines Films mit einer charmanten Mischung aus Stilbewusstsein, der Schmierigkeit einer gealterten Halbwelt und dem Muff von zu lange nicht gewechselten Teppichböden. „Der Tod wird kommen“ ist eine Perle des unprätentiösen Genrefilms, eine seltene Spielart jener Filmgattung, um die sich Festivals gerade wieder aktiv balgen.

Szene aus „Der Tod wird kommen“ (R: Christoph Hochhäusler, DE/LU/BE 2024) Foto: © Heimatfilm

Die 14 Filme des Titels sind schon länger nur noch sinnbildlich gemeint, längst überschreitet die Auswahl der Filme diese Anzahl deutlich. In diesem Jahr etwa laufen gleich 28 Filme in den drei Festivalkinos: dem Kino in der Kulturbrauerei, dem Delphi Lux und dem Neuen Off. Doch nach wie vor ist „Around the World in 14 Films“ eine hervorragende Gelegenheit, das Festivaljahr Revue passieren lassen – während die ersten Festivalausgaben für nächstes Jahr schon wieder in Arbeit sind. Fabian Tietke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen