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Archiv-Artikel

kinder frisch aus den neuen ländern von SUSANNE FISCHER

Entweder gibt es bei Sonnenschein mehr Kinder als anderswo oder in Thüringen. Diese Behauptung kann empirisch von mir derzeit weder in die eine noch in die andere Richtung entschieden werden, weil ich bei Sonnenschein in Thüringen war und es dort mehr Kinder gab als bei Regen in Niedersachsen.

Bei Sonnenschein sitzt man im Eiscafé. Am Nebentisch alte Thüringerinnen, die aussahen wie lange nicht gelüftet. Es gibt selbstverständlich auch ungelüftete Niedersächsinnen, darum geht es hier nicht. Eigentlich las ich Zeitung, darum geht es aber auch nicht, denn die Frauen redeten gemütlich im Dialekt vor sich hin, bei fremdem Dialekt denkt man ja immer gemütlich, weil man die Fiesheiten nicht so gut versteht, aber plötzlich schrie das Kaffee-Kollektiv am Nebentisch wie eine Frau auf, entsetzt-empört-verstört blickten sie nach draußen. Dort spielten noch mehr Kinder als vorher. Ein Paar hatte allein vier vorzuweisen, eins im Kinderwagen, die anderen orgelpfeifenmäßig daneben gruppiert.

„Och nee“, rief eine Kaffeetrinkerin ganz erschöpft vom Sitzen und von der Aufregung, „jedes Johr eins!“ – „Und denn noch rote Haare!“, ergänzte ihre Nachbarin abfällig mit Blick auf die junge hennagefärbte Mutter. Dann brachen sie seufzend über ihren Kaffeetassen zusammen. Da wusste ich, dass auch in Thüringen so viele Kinder eher selten sind, egal wie das Wetter ist. Und auch nicht so erwünscht, wie derzeit überall behauptet wird, weil gerade Rentenzahler und Papstnachwuchs fehlen.

Aber das Wetter blieb gut, und so lernte ich am nächsten Tag im Bus „Fiepi“ kennen. Ein ausgezeichneter, ehrlicher Spitzname, den die Mutter ihrer Zweijährigen da verpasst hatte. Das Mädchen fiepte ununterbrochen. Erst als die junge Frau Fiepis Schwester mit „Zoo“ ansprach, obwohl die nur ein einziges Stofftier bei sich trug, bemerkte ich mein Missverständnis. Phoebe und Zoë werden an den Missverständnissen ihrer Mutter noch lange zu tragen haben, und ich musste an eine Verwandte denken, die viele Jahre in einem Hamburger Standesamt gearbeitet hatte. Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich aus verzweifelten Versuchen, Müttern aller Haarfarben davon abzuraten, ihre Kinder „Schantalle“ zu nennen.

Zwar schreibt das Namensrecht vor, dass es den gewählten Namen geben muss und man seinen Sohn nicht „Hamsterbacke“ nennen darf, selbst wenn er so aussieht, aber die Schreibweise ist den stolzen Eltern überlassen. Insofern ginge hierzulande vermutlich auch „Fiepi“ in Ordnung. Wahrscheinlich ist es meiner Verwandten zu danken, dass Eltern neuerdings wieder auf einfach zu schreibende Namen wie Anna und Max zurückgreifen.

Von den vielen herumwuselnden Kindern wurde ich am Betreten eines Ladens mit Thüringer Spezialitäten gehindert, sodass ich ohne Souvenir zurückreisen musste. Was hätte man dort kaufen können außer Würsten? Kinder? Sonnenschein? Coole Namen? Unserer Band fehlt übrigens immer noch ein Name, und „Fiepi“ möchte ich sie aus verständlichen Gründen nicht nennen, ebenso wenig „Die singenden Bratwürste“. „Ungelüfteter Papstnachwuchs“ wäre vor 20 Jahren noch passabel gewesen. Jetzt nicht mehr. Traurige Zeiten in Thüringen und anderswo.