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kikkerballenVon den Nöten einer EM-Gastgeberin

Spanien war ein Versehen

Als ehemalige Gastgeberin der Frankreich-Spiele erinnere ich mich noch sehr gut an den Abend des 12. Juli 1998: Die Fernsehgemeinschaft hatte die Tafel aufgelöst, die Reste des Zinedine-Zidane-Gedenkcouscous in die Küche zurückgetragen und fieberte dem bevorstehenden letzten Einsatz der Blauen entgegen. Getränke und Aschenbecher waren verteilt und die Fernbedienung überprüft worden; der Zettel mit der Telefonnummer von Frau Awals Hebamme klebte neben der Krepppapiertrikolore an der Wand.

Dann gewannen wir ein letztes Mal. Wir jubelten und hüpften (Ringel) bzw. wälzten uns vor dem Fernsehgerät (Bester/Gunske); wir stießen mit Cremant an; wir besänftigten meine sturmklingelnde Nachbarin Frau Buhr (rituell, Heise/Rönneburg), wir stellten uns für ein Gruppenfoto mit Fußball und Kicker-Sonderheft auf (Daten-Dieter). Und weil die Rückkehr in einen ungeregelten Alltag erfahrungsgemäß schwer zu verkraften ist, versprachen wir einander Beistand für die nun kommende turnierlose Zeit. „In zwei Jahren ist EM“, trösteten wir uns.

In zwei Jahren aber kann sich vieles ändern. Mich zum Beispiel verschlug es vor kurzem in eine andere Stadt, wo ich mich natürlich sofort um die Gründung einer neuen Fernsehgemeinschaft bemühte und – gegen meine Überzeugung, aber ich wollte nicht wie ein Bayern-München-Fan wirken – die EM-Patenschaft für Spanien übernahm. Das waren gleich zwei Fehler.

Zunächst einmal die Spanier: Was in aller Welt stellten die da an? 0:1 gegen Norwegen! Eine konfuse Mannschaft, bei der kein Zusammenspiel klappte! „Da steht doch keiner!“, kreischte ich mehrfach, aber keiner hörte auf mich. Die Spanier, stand zu befürchten, würden wieder einmal in der Vorrunde untergehen. Beim WM-Spiel gegen Bulgarien, als selbst sechs Tore nicht weiterhalfen, weil Nigeria ja unbedingt gegen Paraguay verlieren musste, war das tragisch – beim Anblick der besiegten Spieler, die nach dem Schlusspfiff wie betäubt auf dem Feld kauerten, wusste man: So sieht eine Niederlage aus. Diesmal aber wollten sie offenbar kampflos aussteigen. Und auf die hatte ich gesetzt! Nach dem knappen 2:1 gegen Slowenien wollte ich meine Franzosen wiederhaben: Wunderbar spielten die, jedes Mal, und ich hatte sie verschmäht.

Aber auch meine Fernsehgemeinschaft benahm sich sehr merkwürdig. Ich registrierte mangelnde Disziplin („Das Spiel war gestern?“) und Ahnungslosigkeit („Warum muss Belgien eigentlich gegen Italien spielen?“). Hart traf mich auch die Tatsache, dass zwei Mitglieder der Fernsehgemeinschaft das entscheidende Spanien-Spiel ausfallen ließen, weil sie Besuch erwarteten und vorher noch die Wohnung feudeln wollten. Das entscheidende Spiel wiederum aber versöhnte mich, jedenfalls mit den Spaniern, die ich beim Stand von 2:3 aufgegeben hatte.

Alfonso!

Und dann, kurz nach der Partie Frankreich – Holland, erhielt ich einen Anruf aus Berlin. Es war Herr Gunske. Es ginge um das Viertelfinale, sagte er. Um Frankreich, die Zusammensetzung der Berliner Fernsehgemeinschaft und die Beinflussung des Spielergebnisses gegen Spanien am Sonntag, um wissenschaftlich nicht erklärbare Phänomene. „Wir müssen die Band wieder zusammenbringen!“, brüllte er plötzlich. Ich sollte mich am Sonntag in den Zug setzen und rechtzeitig zum Spielbeginn bei ihm eintreffen, nein: zur Sicherheit spätestens zur Nationalhymne. Er wolle ein Boeuf Bourguignon zubereiten, die Fernsehgemeinschaft sei komplett, und die Awals würden auch das Kind mitbringen, es sei ja damals schon dabei gewesen. Dann könne gar nichts mehr schiefgehen. „Ich bin Spanien-Gastgeberin“, jammerte ich, „es war ein Versehen ...“ Gunske legte wortlos auf.

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(Aus technischen Gründen muss die Kolumne an dieser Stelle abgebrochen werden. Wir schreiben den 25. Juni 2000, es ist 14 Uhr, und gleich geht mein Zug – never change a winning team. ) CAROLA RÖNNEBURG

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