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keulung wegen bseTöten aus Angst vor der Angst

Die Diskussion um die ethischen Probleme bei der Massentötung von Rindern ist nicht nur scheinheilig. Sie zeigt auch, wie weit sich der normale Konsument von den Bedingungen entfernt hat, unter denen seine Nahrung entsteht. Tiere werden in unserer Art der Landwirtschaft als Sachen behandelt. Wer Rinder, Schweine und Hühner erst durch Zucht und Gentechnik auf Höchstleistung trimmt, sie dann in enge Ställe pfercht, mit Abfall und Medikamenten füttert und sie zum Schlachten kreuz und quer durch Europa fährt, der hat den Respekt vor einem leidensfähigen Lebewesen verloren. Er fragt als Konsument nicht nach der Produktionsweise, sondern nur nach dem Preis. Was in einem Schlachthof vor sich geht, interessiert ihn nicht.

Kommentarvon BERNHARD PÖTTER

So betrachtet ist das EU-Programm „Aufkaufen und Vernichten“ nur folgerichtig. Weil mit Steuermilliarden ein System der Agrar(über)produktion aufgebaut wurde, muss es jetzt mit Steuermilliarden im Gleichgewicht gehalten werden. Zwei Millionen Rinder zu töten und zu verbrennen ist auch nur eine andere Spielart der jahrelangen Praxis, mit der Walze über die Tomatenernte zu fahren oder die Äpfel ins Meer zu kippen. Die moralische Entrüstung darüber ist richtig. Aber solange sie nicht auf eine andere Agrarpolitik zielt, ist sie verlogen.

Die Frage nach den Massentötungen bei BSE-Verdacht in Deutschland ist noch komplizierter. Denn für die „Keulung“ des gesamten Bestandes gibt es seuchenmedizinisch keine guten Argumente: BSE überträgt sich, soweit bekannt, nicht von einer Kuh auf die andere. Der wirkliche Grund für die Massentötungen ist nicht so sehr die Angst vor der Seuche, sondern die Angst vor der Angst bei den Verbrauchern. Die Kühe werden geopfert, damit der Markt nicht zusammenbricht und nicht auch noch die Milchprodukte unter Verdacht geraten (wofür es bisher keine wissenschaftliche Basis gibt). Mit verantwortungsvoller Tierhaltung hat das so wenig zu tun wie mit dem Verbraucherschutz. Dem wäre mit flächendeckenden Tests bei Fleisch, einer strikten Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel und einer neuen Agrarpolitik ohnehin weit mehr geholfen.

Was die EU vormacht, wiederholt sich in Deutschland: Der Markt gilt als heilige Kuh, für den Tiere gequält und vernichtet werden können. Wer sich als Verbraucher darüber nicht aufregt und nicht nachfragt, woher sein Steak stammt, der sollte auch die Logik der Massenschlachtungen anerkennen.

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