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keine arbeitslosen? OPTIMISMUS MACHT SPASS

Politik ist eine Frage des Glaubens, der Zeichen und Wunder. Zum Beispiel beim Thema Arbeitslosigkeit. Da haben Sozialexperten in den vergangenen zehn Jahren immer wieder das „Verschwinden der Erwerbsarbeit“ beschworen. Und nun das: Alles soll kein Problem mehr sein. In zehn Jahren ist Vollbeschäftigung möglich, sagt selbst eine DGB-Vizechefin. Kanzler Schröder kündigt in seiner 1.-Mai-Rede ein Absacken der Arbeitslosenzahlen unter 3,5 Millionen an. Und Wirtschaftsexperten lieferten vergangene Woche der BILD-Zeitung die „schönste Nachricht seit langem“: Bis Ende 2002 könnte die Arbeitslosenzahl nur noch 2,8 Millionen betragen. Waren die düsteren Prognosen der vergangenen Jahre falsch? Hat sich die Wirtschaftslage überraschend geändert? Oder ist alles gelogen?

Weder noch. Der neue Optimismus ist vielmehr ein Lehrstück dafür, wie ein Problem in der öffentlichen Debatte umdefiniert und schließlich in den Hintergrund geschoben werden kann. Umso mehr, als es sich um ein Problem handelt, an dem sich weder Regierung noch Opposition weiter erfolglos die Zähne ausbeißen wollen. Zudem sehnt sich die Mediengesellschaft nach Neuigkeiten. Und zu dieser Lust am Neuen passt es besser, einen möglichen Rückgang der Arbeitslosenzahl um 400.000 zu bejubeln, als gebetsmühlenartig auf die Millionen weiterhin Erwerbslosen zu verweisen – oder gar die unverändert desolate Lage in einigen Ostregionen zu beklagen.

Politik lebt von Hoffnungen und Zukunftsängsten, von Bewegung, nicht vom Zustand. Und ein wenig Bewegung gibt es ja: Der Euro ist schwach, also boomt der Export und lässt die Zahl der Arbeitslosen tatsächlich etwas sinken. Zudem erreichen immer mehr Arbeitnehmer das Rentenalter, weniger Jüngere wachsen nach. Die Rentenfrage verdrängt die Massenarbeitslosigkeit als sozialpolitisches Problem Nummer eins.

Die düstere Prognose der 90er-Jahre, dass die Erwerbsarbeit allmählich verschwindet, hat sich nicht bewahrheitet. Stattdessen aber muss sich die Sozialpolitik mit neuen Fragen auseinander setzen. Welche Regionen werden dauerhaft abgehängt? Wie können Ältere in den Arbeitsmarkt eingebunden werden? Wie mies bezahlt und verschleißend darf ein Job überhaupt sein? Daneben wird sich die Gesellschaft still und leise an einen mittleren Sockel der Arbeitslosigkeit gewöhnen. Bleibt die Frage: Ist das Optimismus – oder Abstumpfung?

BARBARA DRIBBUSCH

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