piwik no script img

kadewe-öffnungSTREIK GEGEN DEN STREIK

Sie hatten sich das so schön ausgedacht – die Gewerkschafter, die seit Jahr und Tag für den freien Sonntag im Einzelhandel kämpfen. Der Landesverband der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) hatte bereits im März einen neuen Arbeitszeit-Tarifvertrag beim Einzelhandelsverband eingefordert. Der arbeitsfreie Sonntag sollte damit tarifvertraglich abgesichert werden, weil das geltende Ladenschlussgesetz viele Ausnahmeregelungen zulässt. Tricky, denn ganz nebenbei gilt damit nach HBV-Ansicht die so genannte Friedenspflicht nicht mehr – außerhalb laufender Tarifverhandlungen sind Streiks illegal.

Gestern nun die Probe aufs Exempel. Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Einzelhandels sollte das Recht der Beschäftigten, sonntags baden, buddeln oder baggern zu gehen, im Einzelhandel erstreikt werden. Mit einem für die HBV ernüchterndem Ergebnis: Die Gewerkschaft hatte die Rechnung ohne die KaDeWe-Kollegen gemacht; die allermeisten folgten dem Streikaufruf nicht. Und das bei einem relativ hohen Organisationsgrad von um die 50 Prozent und einem Betriebsrat, der bisher jede Sonntagsöffnung abgelehnt hatte.

Die Begründung, die Beschäftigten wären nur aus Angst um den Job dem Streik ferngeblieben, erscheint zu einfach. Bei jedem Arbeitskampf laufen die Beteiligten Gefahr, im Nachhinein mit mehr oder weniger schwerwiegenden Konsequenzen rechnen zu müssen. Unter denen, die arbeiteten, hatte sich eher eine Art Resignation breit gemacht. Die Stimmung: Keiner arbeitet gern am Sonntag, aber man kann nichts dagegen tun. Angesichts fordernder Kunden und der vielfachen Meinung, nach der die Misere des Arbeitsmarktes an der Unflexibilität der Beschäftigten liegt, verwundert dies kaum.

Allerdings: Man kann zu der Frage, ob Sonntagsöffnungen von Geschäften notwendig oder überflüssig sind, stehen, wie man will – dass Beschäftigte aus Resignation darauf verzichten, für ihre Interessen einzutreten, ist kein gutes Zeichen. Denn auch daran hängt die Entwicklung des Gemeinwohls: dass Interessenkonflikte ausgetragen werden.

RICHARD ROTHER

Bericht Seite 20

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen