kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Fußball
Was jeder weiß: Gott ist rund. Auch in Berlin. Wir haben es mit einer polytheistischen Religion zu tun. Es gibt nicht nur den einen, großen. Es gibt viele kleine. Für die Götzendienste. Sie tragen im Wesen menschenähnliche Züge. Doch können sie ihre Füße bewegen wie der Sterbliche seine Hände. Auch vermögen sie ihren Schädel so zu benutzen, dass sie Gott, im Flug schwer und unberechenbar geworden, ohne Schmerzen weit über ein Feld wuchten können. Die Halbgötter heißen Preetz und Beinlich und Wosz.
Einen Chef gibt es aber auch. Der ist viel kleiner als die Halbgötter und eben rund. Früher war er schwarz und weiß, ganz früher braun. Heute ist er meist weiß. Es gibt ihn nicht nur einmal. Gott muss vergessen haben, sich patentieren zu lassen; oder vielleicht hat er sich vom Strom der Gentechnik einfach mitreißen lassen, wer weiß. Jedenfalls kann der Gläubige in Krämerläden ein Abbild von IHM kaufen. Zum Beispiel bei Sport-Finke in der Kantstraße.
Mancherorts wird ER sogar ohne das Insigne der Allmacht unters Volk gebracht. Dann muss eine Nadel dafür sorgen, dass ihm eine Seele eingehaucht wird. Das ist schäbig und lästerlich, wird aber geduldet, weil man Angst hat vor dem Begehren der Bekehrten, denn man weiß, dass jeder Glaube, der neu erworben ist, unverschämt macht und die niederen Instinkte weckt. Weil die Konvertierten sich wie Neureiche gebärden, gibt es Institutionen, wo sie die Hybris schnell verlieren. Nur eine Gruppe Abtrünniger, Hooligans genannt, ist enttäuscht von Gott und Teufel und kann also keinen Beistand vom Fußball erwarten.
In Berlin sagt man zu den Tempeln Stadien. Schnell erfahren wir dort: Der runde Gott ist ein Fußball. Fuß deshalb, weil er mit diesem Körperteil in ein so genanntes Tor getrieben, geschossen, gekickt wird, wie auch immer. Ball, weil der erhabenste, in seiner Form vollendetste Körper auf Erden diesen Namen trägt. In den Stadien sitzen viele Gefolgsleute und zelebrieren eine Messe nach strengen liturgischen Maßgaben.
Eine Berliner Stätte der Huldigung heißt Olympiastadion. Zu besonderen Anlässen strömen 75.000 Menschen herein. Jeder Kirchgänger trägt sein Geheimnis, das mit den Leiden einhergeht, die er im Stadion erhofft. Eine Trennung der Geschlechter ist nicht nötig. Es kommen eh fast nur Männer, denn im Stadion darf die Frau gehasst und der Mann geküsst werden. Letztere Neigung sollte nur in raren Momenten durchbrechen – wenn ein Tor fällt.
Stets wird gesungen, weil das zu jeder Messe gehört und weil die Musik eine Zuflucht für die vom Glück oder dem Alltag angewiderten Seelen bietet. Der Kantor trägt den Namen Frank Zander. Er begeistert die Gemeinde so sehr, dass sie regelmäßig den Choral „Nach Hause, nur nach Hause gehen wir nicht“ intonieren. Aber der innigste Gesang labt die ausgetrockneten, nach IHM lechzenden Gemüter nicht. Deshalb müssen die Halbgötter auf einer Rasenfläche herumlaufen, zu elft je ein Team bilden und Fußball-Zeus zu Willen sein. Es sieht offenkundig so aus, als beherrschten sie IHN. Weit gefehlt. In Momenten sonder Zahl zeigt ER ihnen, was ein Fußball ist, hüpft wild herum oder springt vom Fuß, kurzum: macht, was ER will.
Überall treibt ER Schabernack. Bei Hertha. Bei Union. Bei Tennis Borussia. Bei Makkabi, bei Galatasaray. Überall, wo seine Missionare die Wilden zum rechten Glauben mit dem Höchstgebot des Fußballgotts bekehrt haben: Derballistrundeinspieldauert90minutenvordemspielistnachdemspiel. Und so weiter. Es ist bedauerlich, dass man, um zum Fußballgott zu gelangen, durch den Glauben hindurchmuss.
Noch ist die Religion jung. Ihr wird aber ein hohes Alter prophezeit. Sie wird alle überleben. Warum? Weil der Knochen immer mehr Fleisch bekommt und würfe man ihn weg, verfielen die Menschen dem Laster, der Apathie und der Langeweile. MARKUS VÖLKER
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