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kabolzschüsseAuf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Drachenboot

Seit geraumer Zeit – und darauf wusste bereits Harald Schmidt hinzuweisen – wird das, was Chinesen seit 2.000 Jahren tun, zum Gral der Weisheit erhoben. Wird in den Reformläden der Republik grüner Tee feilgeboten, stürzen sich auf Erleuchtung Hoffende ins Gesöff. Schlecht dabei, dass Stiftung Teetest böse Pestizide im magenfreundlichen Sud fand. Das lag freilich nicht an den Chinesen, sondern am Gepansche der Europäer, aber noch immer leidet man hierzulande unter der Anbetung asiatischer Lebensart – zum Beispiel des Mauerbaus.

Doch in diesem Fall war die Schläue der Kopisten begrenzt, denn wie auch Kafka berichtete, trieb man das epochale Bauwerk als Patchwork voran. Die Baumeister und Arbeiter setzten Mauerabschnitte, die sich in fünf Jahren bauen ließen, in die Landschaft. In Jahrzehnten sollten die Lücken geschlossen werden. An anderer Stelle sammelten die Maurer neue Kräfte, um das Lebenswerk über Berg und Tal zu bringen. Beziehungsweise: über Fluss. Womit wir beim Drachenbootfahren angekommen wären.

Auch dies erfreut sich in Berlin wachsender Beliebtheit. 16 bis 20 Leute setzen sich in ein Kanu, 13.000 Mark teuer, greifen sich ein Paddel und düsen los. Die Chinesen bringen den Sport zur Perfektion, indem die Paddler hinter der schäumenden Gischt verschwinden, in Berlin bleibt der Vortrieb unter 20 Knoten, was an der Semiprofessionalität der Drachenbootfahrer liegt.

In der Hauptstadt versteht sich die Berlin Dragonboat Company mit den Sparten Wann Sea Dragons und Spree Sisters als Anvantgarde des Sports. Es gibt da zwar noch die Preussen Drachen vom Kanuklub Potsdam und die Feuerspeier aus Charlottenburg, aber wie Andreas Wolter von der Company sagt: „Wir sind zurzeit die Stärksten.“

Früher, sagt er, seien die Boote schmuckvoller gewesen, heute begnüge man sich mit einem „Drachenkopf vorn“ und „Drachenschwanz hinten“. Aus China ist zu erfahren, dass der Drache symbolische Bedeutung besitzt. Ein klassischer Drachen hat nicht weniger aufzuweisen als den Kopf eines Ochsen, das Geweih eines Hirsches, die Mähne eines Pferdes, den Kopf einer Python, die Krallen eines Habichts, die Fühler und den Schwanz eines Fisches. Das war’s. Ach ja: Und durch die Kraft und Stärke kann er auf Wolken reiten und das Wetter machen.

Im Mutterland sind an Back- und Steuerbord noch Drachenschuppen angemalt, um die Illusion aufrechtzuerhalten. Die Krallen sollen dann die Paddel sein. Zur Besatzung gehören in strenger Exegese chinesischer Tradition ein Steuermann und ein Trommler, der den Takt für die Krallendarsteller schlägt. Am Ufer johlt eine aufgeregte Menge, die dem Drachenkampf beiwohnt. In Singapur und Hongkong finden die größten Rennen statt, aber in Berlin gab es auch schon mal eine Europameisterschaft – das ist jetzt fünf Jahre her.

Wem sich über die Drachenmystik der Sport noch nicht hinreichend erschließt, dem sei die Sage von Qu Yuan ans Herz gelegt. Der vor 2.000 Jahren beliebte Staatsmann und Dichter lebte sein Leben im Königreich Chu. Die Regierung war korrupt und intrigant. Yuan wurde unschuldig wegen Verrats verbannt. Er stürzte sich voller Verzweiflung darüber in den Fluss Mi Lo. Die heutigen Rennen nun sollen die Versuche der Fischer abbilden, die hinausfuhren, das Leben von Qu Yuan zu retten. Um böse Wassergeister abzuwehren, hoffte man bei der Aktion auf den Beistand des Drachen, obendrein warf man Reis- und Fleischknödel ins Wasser, genannt Zhong Zi, die gefräßige Fische vom Verzehr des Staatsmannes abhalten sollten.

Heute wird in zwei Klassen gerettet: Mixed und Open. Im gemischten Boot müssen mindestens acht Frauen sitzen, in der offenen Kategorie ist erlaubt, was reinpasst. Wegen der Beleibtheit der Europäer kaum mehr als 18 Leute. In China, sagt Wolter, führen die immer in voller Besatzung. „Die sind halt kleiner als wir“, erklärt er. Eben. Und Konfuzius sagt: „Ein knalllotes Gummiboot fählt aus nach Shanghai, tlallalalala.“

MARKUS VÖLKER

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