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kabolzschüsseAuf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Pétanque

Spielt Ulrich Wickert eigentlich Pétanque? So wie Baseball ein Spiegelbild amerikanischer und Cricket eines der englischen Lebensart ist, so ist Boule vielleicht das französischste aller Spiele. Boule ist so französisch, dass Wickert es einfach spielen muss. Einige Boule-Spieler, wir sprechen hier genauer von der mit Abstand populärsten Variante Pétanque (von franz. „pied tanque“ = Füße zusammen), trinken tatsächlich Rotwein – oft zwar nur aus dem Tetrapack. Allerdings gibt es sogar ganz vereinzelt Baskenmützenträger, und bei dem Spiel mit den Kugeln kann mensch Gott einen guten Mann sein lassen – denn der lebt ja sowieso da, wo die Kugeln herkommen.

Pétanque wurde 1920 in dem südfranzösischen Städtchen La Ciotat nahe Marseille erfunden, französische Soldaten und deutsche Urlauber machten es nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland populär, und 1962 wurde der erste deutsche Pétanque-Verein in Bad Godesberg gegründet. Die Hochburgen liegen auch heute noch im Südwesten Deutschlands, Pétanque ist ein durch und durch westdeutsches Spiel. In den Anfängen der linksrheinischen Bundesrepublik war sogar Konrad Adenauer mit den Stahlkugeln zu sehen. Wahrlich keine guten Voraussetzungen für Berlin, und für den Ostteil der Stadt schon gar nicht.

Im Westteil der Stadt gibt es inzwischen aber schon fünf Vereine mit insgesamt 300 Spielern. Rund 1.000 Berliner legen (franz. „pointer“) oder stoßen („tirer“) die Kugel („Boule“) in ihrer Freizeit. Berlin ist, was die Anzahl organisierter Pétanque-Spieler betrifft, zwar das deutsche „Schlusslicht“, wie der Präsident des Landes-Boule-Verbandes Berlin (LBVB), Peter Blumenröther, bedauert, aber nur „quantitativ; qualitativ sind die Berliner Spitze“. Mit Christian Hempel vom derzeit führenden Berliner Verein 1. BC Kreuzberg kommt einer der besten deutschen Spieler aus der Hauptstadt, und mit dem vergleichsweise riesigen Boulodrome mit 33 Bahnen in Tegel verfügt Berlin über eine der besten Anlagen Deutschlands.

Der Großteil der Spieler setzt sich aus Studenten und Akademikern zusammen. Die Vereine sind in eher bürgerlichen Stadtteilen Westberlins angesiedelt – im Osten tut sich das Spiel noch sehr schwer. Einen Verein gibt es noch nicht, aber am Treptower Park und in Pankow haben sich erste lockere Spielgemeinschaften gebildet.

Der zermürbende Kampf zwischen der Mehrheit der „Wir machen das nur so aus Spaß“-Spieler und den „Wir machen das nicht nur so aus Spaß“-Spielern ist immer ein Thema. Seit billige Metallkugeln schon bei Ikea verkauft werden, hat Pétanque einen kleinen Boom erlebt: Die frankophilen Hobbyspieler werden immer mehr. Von denen hat aber kaum einer Lust, das entspannte Spiel gleich in einen Wettkampfsport zu verwandeln.

So geht in diesen herbstlichen Tagen die Freiluftsaison zu Ende; an diesem Wochenende fanden die deutschen Vereinsmeisterschaften schon in der Halle statt. In der Nähe von Frankfurt kämpften neun Vereine um den Titel. Aus der Hauptstadt war immerhin der 1. BC Kreuzberg dabei.

Allerdings ist eine Vorstellung gewöhnungsbedüftig: dass Menschen in einer umgerüsteten Turnhalle mit Metallkugeln werfen oder in der Nähe eines Verkehrsflughafens im Nieselregen fachsimpeln. Irgendwie hat das mit Savoir-vivre wenig zu tun, und vielleicht spielt Ulrich Wickert darum kein Pétanque. MATHIAS STUHR

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