joachim lottmann: Der Grüne Heinrich : Angie. Grüner Tiger. In Uniform
Der taz-Sommerroman (VI): Dr. Rezzo Heinrich (45) wird von seinen grünen Parteifreunden nur „Porsche“ genannt. Tatsächlich darf er aber nie Vollgas geben. Doch dann nimmt ihn Angie Tiger mit – die militärpolitische Sprecherin der Partei. Es kommt zum Gespräch „danach“.
Den heißesten Tag des Jahres erlebte Schröders herrliche neue Hauptstadt Anfang August. Porsche schob seinen schwitzenden massigen Körper einmal quer durch Mitte, 600 Meter weit von seiner Wohnung am Hackeschen Markt bis zum Kaffee Burger in der Wilhelm-Pieck-Straße. Nein, heute war es zu heiß zum Poppen! Er wollte sich nur die so genannte Russendisko Wladimir Kaminers ansehen, von der so viel die Rede war. Doch er hatte sich im Tag geirrt; sie gaben auf der Bühne nur kalauernde, freilich nicht unpolitische, vom Kultursenator auch finanziell unterstützte Slam Poetry, so genannte Literatur. Das machten sie im „Kurvenstar“ einfach besser.
Und so heiß war es, furchtbar. Und all die jungen Leute! Er fühlte sich alt. Gegenüber im Café Passig war weniger Betrieb. Hier war er gern. Wirtin Kathrin stellte ihm wortlos seinen Kir Royal vor die Nase.
Am liebsten hätte er das nasse Hemd gewechselt, dachte er gerade, als Angie Tiger sich neben ihn setzte. Die militärpolitische Sprecherin seiner Partei. Sie war attraktiv, was man nicht sah, wenn sie in Uniform neben Scharping Einsatztruppen besichtigte. Sein Draht zu ihr war schlecht. Früher, mit 20, war sie „die sanfte Rebellin“ (BZ) und er schon in einer spießigen Kanzlei. Süß sah sie immer noch aus, kleines, offenes Gesicht, anmutig und artig die Kleinmädchenaugen. Und nicht so fett wie er, sie spielte ja auch in der Abgeordnetenelf „Grüne Tulpe“ eine legendäre Linksaußen mit starkem Tordrang, wie Ludger erzählte.
Porsche alias Rezzo – sie nannte ihn nur Rezzo, was ihm lieber war als der Hohnname – war überrascht, wie nett sie zu ihm war. Als gehörten sie derselben Fraktion an. Ach ja, taten sie ja auch. Die Notgeilheit, die ihm sonst aus den Augen quoll, war in diesem Moment kein Thema, vielleicht lag’s daran. Er war nur ein alter Mann, dem es zu heiß geworden war. Der seinen stinknormalen Kir Royal trinken wollte, eingeschenkt von der ollen Passig. „Meine Fresse, wenn ich mich doch bloß umziehen könnte. Ich bin pitschnass. Aber jetzt noch mal nach Haus, unmöglich“, menschelte er ohne Falsch.
Angie wohnte gegenüber in der Ackerstraße 14. Kurzerhand nahm sie ihn zu sich. Sie hatte da noch Sachen von einem Mann. „War das der, der mit dem Messer auf dich los ist?“, fragte Porsche. Sie lächelte nur. Sie gingen durch die beiden Hinterhöfe. Die erkannte er von Medienberichten wieder, außerdem stand da immer noch ein Polizist. Zig Fernsehteams hatten darüber berichtet, Neonazis stechen auf junge Grünen-Abgeordnete ein und so weiter. Kürzlich meinte die Polizei kleinlaut, es sei wohl eher eine Sache aus der Privatsphäre gewesen.
Urplötzlich waren sie im Bett gelandet, kaum dass er aus der Dusche kam. Rezzo hatte es nicht geplant, er hatte nicht eine Sekunde daran gedacht. Das Programm selbst war aber so, als hätte er mit Angie nie etwas anderes gemacht. Ernst und pflichtbewusst (die bundesdeutsche Frau hatte ja inzwischen ein Recht auf Befriedigung) beschlief er sie, und dann sie ihn. Tja, der gute alte Doppelorgasmus ... nicht schlecht, alter Junge!
Rezzo war ganz bei sich.
Erst später redeten sie, führten das so genannte „gute Gespräch danach“. „Ich fand dich immer schon sexy, vor allem auf der ‚Nie wieder Deutschland!‘-Demo 1990. All diese Exterroristen, und Jutta Ditfurth ... Klaus Croissant ... und dann du! So zart und doch wütend ...“
Sie erzählte alles. Von ihrem Vater, der für die CDU im Landtag saß. Dem Großvater, der die NSDAP im Reichstag vertrat. Der Urgroßvater, der im amerikanischen Bürgerkrieg den Ku-Klux-Klan mitbegründet hatte.
„Eine politische Familie. Was ist das für ein buntes Zöpfchen da hinten?“, fragte er.
„Das sind die kurdischen Farben Rot, Gelb und Grün. Deswegen bin ich in der Türkei zur ‚unerwünschten Person‘ erklärt und ausgewiesen worden.“
„Warum bist du im Kosovo-Krieg umgekippt?“
„Dein großer Freund Ludger doch auch! Der hat doch mit pazifistischen Sprüchen seinen Preis hochgetrieben!“
Stimmt, fürs Umfallen war dann ein Staatsministerposten fällig. Sie diskutierten lange über Bosnien, den Balkan, das Einfliegen deutscher Nutten nach Mazedonien, um die dortige Zivilbevölkerung vor deutschen Soldaten zu schützen – und schliefen ein weiteres Mal miteinander.
Dann ging es weiter mit Osttimor, mit Somalia, mit Israel und dem Westjordanland, den Befreiungsbewegungen in Birma und auf Jolo. Aufgaben en masse für die militärpolitischen Ziele der Grünen. Dann über ihre Reisen durch Südamerika und die dortige militärische Situation der aufständischen Indios, über Castro, über Bush und früher Clinton.
Beim Thema Clinton beschlief ihn die durchtrainierte Parteisoldatin ein viertes Mal. Die Sache eskalierte. Furchtbar.
Fortsetzung nächsten Samstag
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