piwik no script img

jenni zylka über Sex & LügenDream it, don‘t be it

Schatz, woran denkst du? Einmal ganz Erdloch sein. Sexfantasien sind eben mehr oder minder nachvollziehbar

Ganz, ganz dunkel kann ich mich an einen Sesamstraßen-Spot erinnern, in dem ein Monster zusammen mit einem netten, kleinen Mädchen „Mit ein bisschen Fantasie, da geht alles so wie nie“ nach der Melodie des Mary-Poppins-Songs „Mit ’nem Teelöffel Zucker ...“ singt. Den genauen Text weiß ich leider nicht mehr. Sicher bin ich allerdings, dass es Mädchen und Monster in ihrem Lied nicht um Sexfantasien ging.

Obwohl das hervorragend passen würde, sowohl textlich, als auch wenn man die InterpretInnen als AkteurInnen in Betracht zieht. Denn was gibt es nicht alles an merkwürdigen Sexfantasien! Beziehungsweise, eigentlich weiß ich nicht, welcher Art Sexfantasie meine Mitmenschen sich beim Ringelpiez bedienen. Schließlich redet man meist nicht darüber. Nicht mehr: 1973 hat Nancy Friday ein Aufsehen erregendes Buch veröffentlicht, in dem sie echte weibliche Sexfantasien gesammelt und mit gut gemeinten psychologischen Erläuterungen versehen hat. Dieses Buch ist wirklich prima. Meine Lieblingsfantasien beginnen ungefähr so: „Ich bin 24, seit drei Jahren verheiratet und wohne in einem ruhigen Vorort von Chicago. Meine Fantasie ist, dass ich allein am Pool im Garten unseres großen Hauses in der Sonne liege, mein Mann ist zur Arbeit gefahren ...“. Au ja, klingt dufte. Wer möchte nicht mit 24 den ganzen Tag am Pool im sonnigen Garten des eigenen großen Hauses herumhängen, während der Alte das Geld verdient. Auch wunderbar Seventies sind die Hippie-„Erdmutter“-Fantasien: „Ich war die Erde, und ich war das Loch in der Erde. Ja, ich war ganz Loch, und er war wie eine riesige Sämaschine, die das Feld – mich – entlangfuhr. Immer wieder wurde ich bepflanzt ...“. Jaaaa, jaaaa, einmal ganz Erdloch sein. Einmal eine riesige Sämaschine treffen. Einmal vor dem Sex die richtigen Trips schmeißen.

Die Männer, die durch die Träume von Nancy Fridays Befragten geistern, sind entweder die Partner oder „Vertreter“, „Nachbarn“ oder Ehemänner einer Bekannten. Wie das halt war, in den USA vor rund 30 Jahren. Vielleicht wäre es darum an der Zeit für eine aktuelle Bestandsaufnahme weiblicher und männlicher Fantasien. Fantasien, in denen „GEZ-Leute“, „DJs“ und „MediendesignerInnen“ sich an der Gegensprechanlage von Altbauwohnungen verklingeln, in denen allein erziehende Mütter die Freunde ihrer Söhne vernaschen, und Tanktop-Girlies ihre Nacktbilder allein aus Geilheit ins Internet stellen.

Auch die modernen Fantasien wären aber, so viel habe ich durch vorsichtiges Herumfragen in meinem Bekanntenkreis schon herausbekommen, nicht zum Ausführen gedacht. Im Gegenteil. Man behält weitestgehend für sich, wer mit welcher Aufgabe darin betreut wird. Es soll zwar Menschen geben, die zum Beispiel ihre erotischen Vorstellungen von leicht geschürzten Krankenschwestern, die ihnen mit Schmackes Fieber messen, mit willigen, unbezahlten und bezahlten Freundinnen nachstellen. Aber die Mehrheit scheint ihre Bilder doch lieber ganz privat und nur im Kopf zu leben, um, erstens, niemanden zu verletzen („Schatz, ich stelle mir gerade vor, du bist Angelina Jolie/Jude Law/meinE KollegIn“) und um, zweitens, nicht zweifelhafte Reaktionen zu ernten („Schatz, ich stelle mir gerade vor, Angelina Jolie/Jude Law fickt meineN KollegIn, und ich trage eine Windel und eine Friedrich Merz-Maske und schaue zu“).

Unverfänglicher sind die kollektiven Sexfantasien, deren klassischer Touch sie weit wegrückt vom Peinlich-Privaten: Jeder Heterofrau werden die gleichen Bilder durch den Kopf gehen, wenn man die Zutaten „Navy-Übungsschiff“, „eine Horde Leichtmatrosen“ und „muskulöse Heizer im Schiffsbauch“ nimmt. Und jeder Heteromann wird ein ähnliches Szenarium von dem Schiffbrüchigen auf einer Insel in der Südsee (mit den 100 Frauen zwischen 21 und 26, die seit Jahren keinen Mann gesehen haben) imaginieren können. Ziemlich abgelutscht, könnte man sagen.

Bis jetzt ist das neue Nancy-Friday-Buch, der Bestseller in spe, „Die Sexfantasien der Deutschen im 21. Jahrhundert“, noch nicht geschrieben. Ein harter Job. Einer müsste ihn mal machen. Doch ehrlich gesagt: Ich hätte auch keine Lust, bei den Nachbarn im Schlafzimmer zu wühlen. Habe zu viel Angst, dass schmutzige Bilder vom Polizeihund Rex oder Lara Croft bei mir haften bleiben und mir beizeiten, wenn ich gerade ein ganz entzückendes eigenes Bild kreiert habe, die Tour vermasseln könnten. Und beim Realisieren wäre ich erst recht vorsichtig: Schon so manche Fantasie entpuppte sich dabei als Rohrkrepierer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen