piwik no script img

jenni zylka über Sex & Lügen„Freier“ ist kein Schimpfwort – wie unfair

Es wäre ein Experiment wert: Eine Verbalattacke zu parieren mit „Isch ficke deinen Vater!“

Ein Mysterium des immerwährenden Sexismus ist für mich die Tatsache, dass „Nutte!“ ein landläufiges Schimpfwort ist, „Freier!“ aber nicht. Wenn sich jemand überhaupt für irgendetwas genieren könnte, das mit Sex zu tun hat, dann doch wohl eher derjenige, der einen anderen Menschen bezahlen muss, weil ihn ohne Geld keiner mit der Kneifzange anfassen würde. Aber doch nicht diejenige, die sich redlich (und neuerdings höchst legal) Brot und Leben verdient. Wobei ich natürlich von den Frauen spreche, die freiwillig der Prostitution nachgehen.

Unerklärlich, außer vielleicht durch die uralte, grauselige Tradition der männlich-weiblichen Machtverteilung. Aber so sind sie, die Alltagssexismen. Und wenn wir schon mal beim Agit-Kolumnismus sind: außer „Nutte!“, „Hurensohn!“ und was der gürtellinieunterhalben Beschimpfungen mehr sind, möchte ich gerne noch mit ein paar anderen schmutzigen Angewohnheiten im Straßen-Verkehr aufräumen. Was würde zum Beispiel der glühäugige Beleidiger, der mir nachts irgendwelche uninteressanten Details aus seinem Maulerotik-Vokabular wunschdenkend hinterherzischt, zu der kongenialen Replik „Isch ficke deinen Vater!“ sagen? Wäre das nun für ihn oder seinen Vater eine Frechheit oder eine Ehre? Ehrlich gesagt habe ich das noch nicht ausprobiert. Aber ich halte es mir warm, um im richtigen Augenblick damit zu glänzen. Oder ein paar auf die Omme zu kriegen.

Oder zu hauen. Glücklicherweise bin ich seit ein paar Wochen nämlich in einem Kickboxkurs. Zwar habe ich außer neuen Stellen, an denen der Körper Muskeln aufweist, die einen Kater haben können, noch nicht viel gelernt. (Das dauert! Ich bin ja nicht Stefan Raab, der wie alle Männer denkt, dass er von Natur aus Boxen kann.) Meine körperliche Schlagfertigkeit geht aber zumindest in der Fantasie schon so weit, dass ich mir ausmale, wie ich mich zwischen ein paar Schränke in einer gefährlichen Prollkneipe drängele, nur um bei ihren verwunderten Blicken Sachen wie „Was guckst’n so, du Schlappschwanz?“ herauszuprovozieren. Und dann, wenn sie mich nach ein paar weiteren, niveaulosen Verbalattacken endlich beiseite wischen wollen, dann bringe ich ein paar gezielte Frontkicks (oder wie das heißt) an. Es ist aber nicht so, dass mich diese Fantasie nun ständig verfolgt. Normalerweise wäre der Emergency-Room-Doktor Kovac, der mich nach so einem überflüssigen Kneipengerangel wieder zusammensetzen würde, eher Inhalt einer Fantasie.

Um auf die sexuell gefärbten Beleidigungen zurückzukommen: Eines der ältesten, am besten untersuchten und trotzdem interessantesten Phänomene ist die heterosexuelle männliche Reaktion auf Schlüsselreize. Mit einem Rock, der auch nur einen Zentimeter Bein wo auch immer und von welchem Umfang auch immer freilässt, kann man sie am besten testen. An einem solchen ungewollten Testtag hat eine Freundin dem zehnten Mann mal entnervt „Ich habe geile Beine!“ entgegengeschleudert, bevor er seinerseits eine Bemerkung in diese Richtung machen konnte. Der Kerl war sichtlich irritiert. Wahrscheinlich war es zufällig genau der nette, kontrollierte und reflektierte Mann, der ihr weder auf den Hautstreifen gestarrt noch sonst irgendetwas Dummes losposaunt hätte. Aber das Leben kann eben manchmal ungerecht sein, keine Frage.

Mit dem bereits erwähnten „Schlappschwanz“ kann man angeblich so manchen Menschen richtig böse machen. Gäbe es ein Substantiv für „frigide“, wäre das garantiert ebenfalls auf der Richtig-Böse-Liste. („Du frigide Kuh!“ lässt sich eben nicht so schön schnell raushusten.) „Schwanzlutscher“ ist dagegen ein Wort, von dem ich persönlich ja, wie auch bei „Hurensohn“, annehme, dass es seit mehreren Jahrzehnten nur mehr in der Fernseh- und Schundliteratursprache existiert. Oder wann hat man das letzte Mal wirklich einen kleinen, frechen Jungen, einen besoffenen Reeperbahn-Luden oder eine erboste Wedding-Prolette „Schwanzlutscher!“ rufen hören? Trotzdem ist es ein hochgradig interessantes Wort: erstens ist es so böse, wie „Lutscher!“ harmlos und drollig klingt (man mag mich für naiv halten, aber ich denke da wirklich an grüne Kojak- oder Chupa-Chup-Lollis). Und zweitens bezeichnet es anscheinend des Hetero-Mannes gruseligste Vorstellung: ein Mann macht beim anderen Fellatio. Huuuu. Wahrscheinlich spielt da auch wieder stark der Kaufaspekt hinein; ich nehme an, der so Titulierte soll sich nicht nur dreckig fühlen, weil er Fellatio macht, sondern auch, weil er es machen muss: Er hat keine andere Wahl, weil das als Stricher beispielsweise sein Beruf ist. Wobei wir wieder beim Anfang wären: Wieso sollte sich der Stricher, so er es denn freiwillig macht, schämen, der Stricherfreier aber nicht? Und so beißt sich die Katze in den Schwanz, der jetzt hier ein einziges Mal mal ohne deftig-süffisanten Beigeschmack zitiert werden soll. Ein ganz unschuldiger, buschiger Katzenschwanz.

Fragen zu Sex & Lügen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen