israel vor neuwahlen: Die Logik des Friedensprozesses
Wenn die Knesset im Oktober aus der Sommerpause zurückkehrt, müssen sich die Abgeordneten möglicherweise auf ganz neue Koordinaten im Friedensprozess gefasst machen. Dann nämlich, wenn, ja wenn Jassir Arafat seine Drohung wahrmacht und am 13. September einseitig den palästinensischen Staat proklamiert. Ihre Haltung zu einem solchen Schritt haben Israels Abgeordnete gestern recht eindeutig kundgetan.
Kommentarvon GEORG BALTISSEN
Das in erster Lesung erfolgreiche Begehren der Abgeordneten, die Knesset aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, ist eine deutliche Warnung an Regierungschef Ehud Barak. Kompromisse in den strittigen Fragen wie Jerusalem, Siedlungen und Flüchtlinge lehnt eine Mehrheit im Parlament ab. Mit diesem Votum im Rücken wird Barak nun in weitere Verhandlungen mit den Palästinensern treten. Sein Spielraum für Kompromisse ist jetzt geringer als vor der Klausurtagung in Camp David. Das ist eine durchaus gewünschte Botschaft an die palästinensischen Vettern im Heiligen Land. Wenn Jassir Arafat sich weiterhin als muslimischer Saladin gebärden will und den Vermittlungsvorschlag von US-Präsident Bill Clinton in Sachen Jerusalem ablehnt, dann kann er sich als Präsident eines autonomen Flickenteppichs, der gerade einmal 10 Prozent des früheren Palästinas ausmacht, gegenüber der ganzen Welt der Lächerlichkeit preisgeben. Arafat wird um Zugeständnisse nicht herumkommen.
Dennoch weiß auch Barak, dass die Palästinenser nur einem Kompromiss zustimmen können, der es ihnen erlaubt, das Gesicht zu wahren. Wenn es gelingt, ein solches Abkommen zu zimmern, dann, so Baraks Kalkül, muss er Neuwahlen nicht fürchten. Er wird das Abkommen ohnehin dem Volk zur Abstimmung vorlegen. Und eine solche Abstimmung könnte er durchaus mit Neuwahlen verbinden.
Kommt Barak aber zu dem Schluss, das ein Abkommen in den nächsten Wochen nicht erzielt werden kann, dann könnte er angesichts der palästinensischen Staatsproklamation eine Regierung der „nationalen Einheit“ unter Einschluss des rechts-religiösen Lagers bilden – quasi als Gegenmaßnahme. Weitere Annexionen palästinensischer Gebiete entsprächen dann der angekündigten Reaktion. Zu der gehört allerdings auch die Warnung vor neuen Gewaltausbrüchen auf palästinensischer Seite. Ehud Barak hat noch politischen Handlungsspielraum. Jassir Arafat dagegen nicht. Das war schon immer die Logik des Friedensprozesses in Nahost.
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