intershop: WLADIMIR KAMINER über den Kampf gegen Großkonzerne
Das Geschäftsleben an der Schönhauser Allee
Die multinationalen Unternehmen vertreiben die Einzelhändler aus der Schönhauser Allee. Doch immer wieder finden sich mutige Geschäftsleute, die in den hoffnungslosen Kampf gegen die Großkonzerne ziehen. An Stelle der Läden, die gerade Pleite gegangen sind, eröffnen sofort neue. Die waghalsigsten und dynamischsten sind bei uns an der Ecke zum einen der „Überraschungsbasar – alles billig“, der von einer jugoslawischen Großfamilie geführt wird, und zum anderen, genau gegenüber – „Allerlei – toll und preiswert“: ein Laden, der Vietnamesen gehört.
Der „Überraschungsbasar“ zog vor einem Jahr in die großen Räume des Einrichtungshauses „Deutsche Küchen“, das nicht einmal sein Sonderangebot – eine per Hand gefertigte Küche für lausige 50.000 Mark – loskriegen konnte und folglich Pleite ging. Nun überraschen die Jugoslawen ihre Kunden dort mit einem immer größer werdenden Sortiment. Und alles kostet 99 Pfennig. Ich lasse mich auch immer wieder gerne überraschen – zum Beispiel von Messern, die gleich im ersten Brötchen stecken bleiben, von kinderfreundlichen Feuerzeugen, die nicht zünden, von Taschen, die sofort auseinanderfallen, und von geruchlosem Parfüm – im Sonderangebot „20 Liter 100 Mark“. Ich kenne keinen anderen Laden, der so billig so viel Einkaufsspaß bietet.
Selbst die neu eröffnete Apotheke nebenan, die ihre Kundschaft mit immer aberwitzigeren Werbeaktionen lockt, verblasst dagegen. Der Pharmazeut vertraut auf das Prinzip des Erschreckens: Seine lauten Schaufensterplakate mit zerquetschten Menschen drauf und Überschriften wie „Sauerstoff für Dein Gehirn“, „Schluss mit dem Jo-Jo-Effekt“ und „Schlank für immer“ können zwar manch einem Passanten Angst einjagen, aber zwingen doch nicht so richtig zum Kauf.
Der vietnamesische „Allerlei“-Laden eröffnete vor ein paar Monaten in dem Pleite gegangenen Billiganbieter „Rudis Resterampe“, der der Konkurrenz zum Überraschungsbasar nicht würdig war. Die Stille des neuen asiatischen Ambientes wird nur selten durch die Anwesenheit von zufällig hereingeplatzten Kunden gestört. Wenn das Sortiment des „Überraschungbasars“ von der Notwendigkeit bestimmt ist, dann steht das Angebot des „Allerlei“ für reine Geistigkeit. Die scheinbar willkürliche Zusammenstellung aus künstlichen Blumengirlanden, Straußenfedern zum Saubermachen, einer Wanduhr mit Ballerinen aus Plastik, unzähligen Schweinen, Kühen und Rosen aus Glas und Porzellan, die übergroßen Porträts von Kleinhunden und Zigeunerkindern mit verheulten Augen spiegelt ein irres und undurchsichtiges Bild der asiatischen Marktwirtschaft wider.
Ein Normaldeutscher, der an einem solchen Geschäft vorbeigeht, zuckt nur mit den Schultern und sagt „Geldwäscherei“ dazu. Die Vietnamesen reagieren auf solche Sprüche gelassen. „Mach's besser, du Klugscheißer“, steht auf ihren mondförmigen höflichen Gesichtern geschrieben. Neulich gab der letzte „Lindner“-Laden an der Schönhauser Allee den Geist auf, der mit dem Spruch „Bei uns wird noch die Butter mit der Hand gemacht“ warb. Gleich am nächsten Tag sah ich einen Karton im Schaufenster stehen – mit der Aufschrift: „Hier eröffnet demnächst eine russische Balalaika-Bar“. Am Tag darauf stand da: „Hier eröffnet demnächst eine vietnamesische Currystation. Ihr Pin-Chuj-wan“. Einige meiner Nachbarn hielten das für einen Witz der Renovierungsbrigade, aber ich weiß: Der Kampf gegen die Großkonzerne geht weiter.
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