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Archiv-Artikel

in fußballland Babylon liegt heute auf Schalke

CHRISTOPH BIERMANN über die Sprachverwirrung im internationalen Fußballwesen und ihre besondere Gelsenkirchener Variante

Christoph Biermann, 44, liebt Fußball und schreibt darüber

„Translate!“, fauchte Mircea Lucescu, und fast musste man sich Sorgen machen, dass der rumänische Trainer des ukrainischen Klubs Schachtjor Donezk den neben ihm sitzenden Dolmetscher auch noch schlagen würde. Auf die Tischplatte haute er jedenfalls schon mal, weil sich der Mann so verdammt dusselig anstellte. Aber warum er vom wütenden Coach plötzlich auf Englisch zum Übersetzen dessen aufgefordert wurde, was der gerade auf Englisch statt Rumänisch erzählt hatte, verstand der arme Tropf nicht. War er nicht zum Übertragen vom Rumänischen ins Deutsche bestellt worden? Oder sollte er zunächst ins Russische übersetzen? Warum saß noch eine weitere Dolmetscherin auf dem Podium? War nicht die für den Transfer zwischen Englisch und Ukrainisch zuständig?

Der Herrgott hat uns in Babylon zwar alle mit der Sprachenvielfalt gestraft, aber wenige wissen diesem Drama so viele komische Seiten abzugewinnen wie der FC Schalke 04, dem der europäische Spielverkehr in den letzten Spielzeiten vor allem Gäste aus dem ehemaligen Ostblock bescherte. Neben der ukrainischen Mannschaft aus Donezk waren in UI-Pokal und Uefa-Cup Teams aus Ungarn und Litauen zu Gast, aus Kroatien, der Slowakei und Moldawien, aus Polen und aus Weißrussland. Selbstverständlich gab es nach jeder dieser Partien so genannte Pressekonferenzen, bei denen die Trainer über Sieg oder Niederlage nicht weiter überraschend in fremden Zungen sprachen. Nicht immer war es so kompliziert wie bei Lucescu, der weder Deutsch konnte noch die Sprache der aus der Ukraine mitgereisten Journalisten beherrschte. In aller Regel sprach ein polnischer Trainer Polnisch und ein slowakischer Coach Tschechisch.

Erstaunlicherweise offenbarte sich ein großes komisches Potenzial im Übertragen von mündlichen Mitteilungen aus einer Sprache in die andere, wobei in der Arena AufSchalke der Ausgangspunkt dafür stets war, dass sich die Dolmetscher überwältigt von der Größe ihrer Aufgabe zeigten. Man spürte im Auditorium deutlich, dass sie angesichts der Kameras, Mikrofone und anwesenden Weltpresse am liebsten gestaunt und geschwiegen hätten.

Von da aus nahm das Scheitern an der Aufgabe sehr unterschiedliche Wege. Ein direkter war die Übersetzung in ein Deutsch, gegen das Ailtons Äußerungen vor Fernsehkameras geradezu verständlich und komplex erscheinen. Man wusste schlicht nicht, wovon sie sprachen. (Interessante Variante: Bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal hatte der spanische Nationaltrainer einen Dolmetscher, der ihn fließend, aber völlig falsch ins Englische übertrug, jedoch nicht in der Lage war, Fragen auf Englisch ins Spanische zu übersetzen. Dafür war der Pressesprecher zuständig.)

Beliebte Fehlleistungen des Dolmetscherwesens sind auch solche radikalen Komprimierungen, bei denen die gut zweiminütigen Ausführungen eines weißrussischen Trainers mit den Worten zusammengefasst wurden: „Herr Podpalyi sagt, dass Schalke besser war und verdient gewonnen hat.“ Besonders verwirrt von der Situation auf dem Podium war eine tschechische Übersetzerin. Dabei hatte Jupp Heynckes, damals noch Schalker Trainer und alter Profi des internationalen Fußballs, ihr bewusst nur einen einzelnen, kurzen ersten Satz geliefert. „Ich bin froh, dass uns der Sieg noch gelungen ist“, hob Heynckes nach einem späten 2:1-Sieg über Slovan Liberec an und schaute aufmunternd zur Übersetzerin hinüber. „Ich bin froh, dass uns der Sieg noch gelungen ist“, sagte sie – auf Deutsch. Dann schaute die arme Frau stolz zu Heynckes hinüber, dessen Kopf rot leuchtete, weil er sein Lachen unterdrücken musste.

Angesichts dieser Erfahrungen ist es wichtig, dass Schalke bald wieder einmal in der Champions League spielen darf, denn babylonische Verschlingungen gibt es in Gelsenkirchen immer nur beim Besuch osteuropäischer Mannschaften mit schwierigen Sprachen. Deren Zahl ist in der Champions League bekanntlich geringer, für den nicht unwahrscheinlichen Fall aber, dass Herr Lucescu noch einmal mit Schachtjor Donezk kommen sollte, muss man sich was einfallen lassen.