in fußballland: Christoph Biermann über frühkindliche Prägungen
MOPSI WIRD MASKOTTCHEN
Als Patenonkel geht man eine Verpflichtung ein, die nicht zu unterschätzen ist. Wie wir alle wissen, sollte man Kinder mit ihren Eltern nicht ganz allein lassen, sondern dem Nachwuchs auch andere Irrsinnswelten als Identifikationsangebot unterbreiten. Fußball etwa. Dabei gilt es jedoch subtil vorzugehen, und ein Stadionbesuch im ersten Lebensjahr ist sicherlich eine ganz besonders subtile Angelegenheit. Schließlich kann man nicht davon ausgehen, dass so ein kleiner Mopsi nur annähernd versteht, was da auf dem Rasen vorgeht, wo er doch gerade erst eine zarte Idee davon entwickelt, was Gras überhaupt ist.
Trotzdem. Luis, den ich mit einer von seinen Eltern nicht gern gesehenen Beharrlichkeit Mopsi nenne, seit er sich an Mama Martinas Brust so rund und mopsig genuckelt hat, ist inzwischen zehn Monate alt und war damit reif für seinen ersten Besuch im Fußballstadion.
Wir haben alle unsere Portion psychologischer Theorien intus, die uns von frühkindlichen Prägungen halbwissen lassen. Der Plan war ganz einfach: Baby kommt ins Stadion mit, findet das ganze Geschrei eine dufte Sache und wird sich, wenn es erst mal den Zustand halber Bewusstheit erreicht hat, daran unterbewusst erinnern und Fußballbesuche ganz toll finden. So ähnlich macht es mein Freund Holger auch, wenn er seinem Sohn in schweren Bänden die Welt der Kunstgeschichte aufblättert, ihm Mahler und Schumann vorspielt oder Gedichte aus dem Bestand der Hochliteratur vorträgt. Von den selbst gemachten Reimen mit den Fröschen ganz abgesehen.
In diesem Zusammenhang ist Holger, mit dem mich seit ungefähr zweieinhalb Jahrzehnten eine brüderliche Freundschaft verbindet, aber offen für alle Einflüsse. Er war es, der gefragt hatte: „Wann gehen wir denn endlich zum Fußball?“ Das Spiel meiner Mannschaft in Luis’ Heimatstadt war schon rein logistisch gesehen eine nahe liegende Wahl. Zumal, so meine Idee, das Patenkind auch eine gute Chance hatte, sich als Glücksbringer zu erweisen. Jedenfalls war der Gegner an diesem sonnigen Tag eine echte Gurkenmannschaft, gegen die das Gewinnen leicht fallen sollte.
Eigentlich lief es zunächst auch ganz gut, die Führung war bald herausgeschossen, mein Team deutlich überlegen, Luis krabbelte gut gelaunt zwischen Vater und Patenonkel hin und her und flirtete mit den umsitzenden Tribünenbesuchern. Die grauselige Musik aus dem Stadionlautsprecher vermochte seine heitere Verfassung so wenig zu trüben wie das Geschrei unserer Fans oder der krachige Ausbruch beim Torjubel. Hier lief alles nach Plan, auch wenn der Platzverweis für einen unserer Spieler kurz vor der Pause eine kleine Irritation bedeutete. In der Halbzeitpause fand Mopsi auch die Pompons der Cheerleader ziemlich aufregend, bald lag mein Team mit drei zu null vorne, als der Kleine müde wurde.
Da erst wurde offensichtlich, wie sehr seine Kräfte das Spiel bislang bestimmt hatten, denn der Mannschaft auf dem Platz schwanden sie fast parallel. Erst musste sie den Anschlusstreffer hinnehmen, dann gab es auch noch einen Elfmeter gegen uns – und der große Moment von Luis war gekommen. Sein Vater hob ihn leicht an, das zauberhafte Wunderkind sammelte seine Kräfte, und der gegnerische Mittelstürmer drosch den Ball übers Tor aus dem Stadion. Jubel, das Kind wurde geküsst, strahlte und schlief dann fast ein. Doch da waren nur noch wenige Minuten zu spielen, der zweite Treffer der Heimmannschaft kam zu spät, und verdammt, alles hatte geklappt. Neben der bestimmt voll gelungenen frühkindlichen Prägung hatte sich Luis auch als Maskottchen profiliert, und Holger setzte ihn nach Abpfiff aufs Spielfeld, von wo wahrscheinlich noch ungeheures Fußballtalent in ihn einzog. Doch dazu mehr in 16 Jahren in der Folge: Mopsi, ähem, Luis wird Fußballstar.
Autorenhinweis:
Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber
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