in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über Daums Schattenmann
Mitgefangen: Roland Koch
Es war nur wenige Wochen bevor sein Meister plötzlich vor den Augen der Welt als süchtig nach Kokain dastand und überhastet das Land verließ, als Roland Koch die schweren Ordner zuklappte, die er zu unserem Gespräch mitgebracht hatte, seinen Blick hob und zu erzählen begann. Vorher hatte er lange Listen, Tabellen und Charts aufgeblättert, um den wissenschaftlichen und sportmedizinischen Unterbau seiner Arbeit als Co-Trainer von Christoph Daum zu erläutern. Wahrscheinlich aber hatte Koch gemerkt, dass er angesichts von Ausdauer- und Blutwerten oder den Ergebnissen von Sprinttests durch Lichtschranken wie ein Dr. Frankenstein des Fußballs wirkte. Jedenfalls betonte er mehrfach, dass es vor allem um die fußballerische Qualität gehe und all jenes, was er dort erläutert hatte, nicht mehr als Hilfsmittel seien.
Und dann sprach der Schattenmann von Christoph Daum, mit dem er unablässig fast zwei Jahrzehnte lang zusammen gearbeitet hatte, von jenem Nachmittag vor fast 25 Jahren, als er auf dem Trainingsgelände des FC Liverpool für sich allein übte. Er hatte dort einige leere Farbeimer gefunden und sich daraus einen kleinen Parcours gebaut, den er mit dem Ball am Fuß durchdribbelte, ihn gegen eine rote Ziegelmauer schoss, das zurückprallende Spielgerät wieder aufnahm und zurück dribbelte.
Während Koch dies immer wiederholte, kam ein älterer Herr mit einer Schlägermütze auf dem Kopf herüber und fragte, wer er sei und was das denn solle. Roland Koch stellte sich vor und erklärte, dass er ein Sportstudent aus Deutschland sei und zu Gast beim FC Liverpool, weil er für sein Abschlussdiplom die Trainingsarbeit internationaler Spitzenklubs vergleichen würde. Aber, wer sei er denn, bitteschön? Der ältere Herr sagte: „Ich bin Bill Shankly.“ Koch war tief beeindruckt, schließlich war dieser Mann eine Legende, nicht nur durch seinen Ausspruch, nach dem es beim Fußball nicht um Leben und Tod ginge, weil die Sache viel wichtiger sei. So fühlte sich Koch auch sehr geehrt, als der große Trainer ihn einlud. Der Verrückte aus Deutschland, der sogar in der Mittagspause nur Fußball im Kopf hatte, gefiel Shankly.
So saßen Koch und der Mann, der den FC Liverpool groß gemacht hatte, einige Male beisammen und sprachen lange über Fußball, und als Koch davon erzählte, klang es, als hätte er damals seinen Propheten getroffen. Keine von Shanklys Weisheiten über das Spiel, Training oder den Umgang mit Profis, nicht das kleinste Detail hat der junge Trainer aus Deutschland jemals vergessen. Shankly schenkte Koch seine Autobiographie, und dass er ihm dort eine persönliche Widmung hineinschrieb, vergaß Koch nicht zu erwähnen, denn damit war das Buch zu einer Reliquie geworden.
Als seine letzten Tage in Liverpool gekommen waren, wurde Koch mit seiner Frau zusammen noch einmal eingeladen, und am Ende dieses letzten Besuchs gab Shankly dem jungen Paar einen Umschlag mit auf die Reise, den sie erst dort öffnen sollten. Im Zug nach London schauten sie hinein; es waren hundert Pfund darin, was damals ein stolzer Betrag war, vor allem aber eine Geste ungewöhnlicher Wertschätzung.
Bill Shankly, sagte Koch schließlich, nachdem die schönen Bilder der Vergangenheit an ihm vorübergezogen waren, sei der Größte gewesen, der ihm im Fußball jemals begegnet ist. Vielleicht lag in dieser Äußerung auch ein kleiner Verrat oder eine emanzipatorische Abgrenzung gegenüber Christoph Daum, der doch selbst gerne der Größte gewesen wäre. Aber vielleicht war es auch nur die Sehnsucht nach einer durch nichts getrübten Hingabe an das Spiel. Oder gar eine Vorausahnung der Affäre, in deren Folge Koch am letzten Sonntag Leverkusen schließlich auch noch verlassen musste.
Er wurde würdig verabschiedet: Die Spieler warfen ihn in die Luft, der Manager hielt eine Dankesrede, und Koch bekam eine Uhr mit Vereinsemblem. Dann packte er seine Sachen in zwei blaue Müllbeutel und legte sie in den Kofferraum des Wagens. Er werde nun in den Urlaub fahren und danach bei einigen europäischen Klubs hospitieren, sagte er.
Fotohinweis:Christoph Bierman, 39, liebt Fußball und schreibt darüber
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