in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über Boubacar Diarra
Sie nannten ihn Becken
Ich kann die Begeisterung für ihn gut verstehen. Mein Freund Uli etwa hat einen von Glückseligkeit leicht umflorten Blick, wenn er über ihn zu sprechen beginnt. Das Publikum im Dreisamstadion bekam sich nicht ein vor Jubel, als Boubacar Diarra sein erstes Bundesligator für den SC Freiburg geschossen hatte. Sein Trainer wurde für ihn zum Spielermanager, und ich benahm mich auch schon ganz seltsam. Ich wollte Boubacar seine Schusstechnik und sein Kopfballspiel erklären. Was ziemlich albern war, als ich im Besprechungsraum des Klubs herumhampelte.
Boubacar Diarra schießt nämlich, als wäre er eine Tipp-Kick-Figur. Seine Arme nehmen dabei keinen Schwung, sondern schlenkern teilnahmslos am Körper herum, während sein Bein mit einem so gewaltigen Wumms nach vorne saust, als hätte der Herrgott persönlich auf den Tipp-Kick-Knopf gedroschen. Das sieht spektakulär aus, aber noch erstaunlicher ist sein Kopfballspiel. Scheinbar stocksteif, mit geradem Rücken und geraden Schultern fliegt er höher als alle anderen. Ich versuchte auch das vorzumachen, während das Original höflich blieb und das Geheimnis seiner Sprünge erklärte. Seine Kollegen würden mit zwei Beinen abspringen, er hingegen mit einem Schwung nehmen. Das bedeutet den Evolutionssprung vom Frosch zu Dick Fosbury.
Springt jemand in der Mannschaft höher? „Nein.“ Hätte er nicht auch Hochspringer werden können? „Ja“, sagte Boubacar. Er liebt kurze Antworten, was nichts damit zu tun hat, dass er erst vor vier Jahren aus Mali nach Freiburg gekommen ist. Sein Deutsch ist gut, aber kurze Sätze sind besser. Das gibt dem dunklen Klang seiner Stimme noch mehr Geheimnis. Manchmal sagt Uli „Aduktor“ und kichert dann vor sich hin, weil das eine Körperpartie ist, deren Namen wohl niemand so bassig auszusprechen vermag wie der Mann aus Mali.
Auch Volker Finke ist von seinem Spieler entzückt und sogar zu dessen Agenten geworden. Der Trainer des SC Freiburg hat dafür gesorgt, dass der Vertrag des Spielers deutlich aufgestockt und verlängert wurde. Das hört sich vielleicht etwas fragwürdig an, aber hier sollte der Spieler wirklich geschützt werden. Wer Diarra nämlich jetzt verpflichten möchte, muss viel Geld anlegen, den Verteidiger also unbedingt und nicht nur mal eben so haben wollen. Mit Sicherheit wird das in ein oder zwei Jahren ein Klub vom Format des FC Bayern sein.
Doch auch jetzt schon ist sein Weg erstaunlich genug. Beim Kicken auf der Straße hatten ihn alle „Becken“ nannte, weil „Beckenbauer“ zu lang war. Er war zu einem der großen Klubs in Malis Hauptstadt gegangen, wo ihn die Trainer wegschickten, weil er zu klein war. Sie gaben schließlich nach, als er trotzdem immer wieder kam. Mit 17 sprang er zufällig für einen verletzten Verteidiger ein, als Real Bamako im afrikanischen Vereinspokal in Tunesien spielte. Dort sah ihn ein Scout des SC Freiburg und lud ihn zum Probetraining ein.
Als er nach Freiburg wechselte, war er immer noch 17 Jahre alt. Volker Finke ging damals mit ihm zur Bank und erklärte ihm das Prinzip des Geldautomaten. Seine Sprachlehrerin lehrte ihn die Mülltrennung, nachdem die Müllabfuhr seine Abfallsäcke nicht hatte mitnehmen wollen. Boubacar lernte, dass auch im Schnee trainiert wird. Er wurde in einer Diskothek nicht eingelassen und hat es seitdem nicht mehr versucht. Bei Spielen in Zwickau und Cottbus wurde er beschimpft und spielte vor Schreck eine Reihe Fehlpässe. Heute macht ihn so was nicht mehr nervös.
In Freiburg geht er zum Trainingsplatz und manchmal zum Einkaufen. Sonst ist er zu Hause bei seiner Frau und seinem Sohn. „Ich möchte manchmal rausgehen, aber ich weiß nicht wohin“, sagt er. Zu Hause in Mali war er von morgens bis abends mit seinen Freunden auf der Straße unterwegs. Boubacar hat dort noch fünf Geschwister und acht Halbgeschwister, insgesamt ist er für 16 Personen verantwortlich. „Wenn einer Geld hat, muss er helfen“, sagt er.
Ganz schön viel Leben für einen, der nun 21 Jahre alt ist. Selbst seine Mutter wundert sich, wie wenig ihren Sohn aus der Ruhe bringt. Hat er sich eigentlich verändert? „Man bleibt immer gleich“, sagt er und verabschiedet sich dann mit dunkler Stimme.
AutorenhinweisChristoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen