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im schallplattenladen und wieder draußen

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Wenn man schon nicht mehr auf die Vierzig zugeht, sondern Tag für Tag davon weg, seit Jahren nur noch an den Rändern der aktuellen Musikwelten herumlungert, dann kann es passieren, dass man in einem dieser kleinen, liebevoll und engagiert geführten, mit freundlichem Personal nicht geizenden Tonträger-Läden steht, in einem unaufgeräumten Laden, der Tag für Tag gegen sein eigenes Aussterben kämpft, weil er zu keiner Kette gehört und zu keinem Konzern, dessen Regale zur Hälfte tatsächlich wieder mit Langspielplatten vollgestellt sind, und vom Tresen, wo die Top-Neuheiten liegen, eine davon so ziemlich wahllos greift, um sie sich vorspielen zu lassen, und diese Musik einem gut gefällt.

LTJ Bukem hieß die Gruppe oder der Künstler, die Angaben auf dem Umschlag waren eher spärlich, bebildert war’s mit Reproduktionen von Soul-Covern der 70er-Jahre, aber die Musik erinnerte daran nur, wenn man es wollte. Ich skippte durch die Nummern, mein Wohlgefallen stieg von Stück zu Stück und umso höher, weil ich vermutete, dass ich mit dem Kauf dieser CD unter Beweis stellen könnte, meinen musikalischen Geschmack auf den neuesten Stand gehievt zu haben. Mit einer einzigen CD! In einem bestimmten Segment nur, natürlich, aber in welchem eigentlich? Ich fragte den Verkäufer, um später auch nach außen beiläufig erwähnen zu können, ich sei jetzt in der zeitgenössischen Musik angekommen, wie man denn diesen Stil nennen würde. „Äh, öh, Drum and Bass, glaub ich“, antwortete er und drehte sich nach einem Kollegen um. „Jürgen, hier, LTJ Bukem, wie würd’s’n du das nenn’?“ Jürgen zuckte auch nur mit den Schultern. „Oder isses Triphop?“ Der Laden wird übrigens keineswegs von Ahnungslosen geführt, noch werden Ahnungslose beschäftigt, das beweist einem jedes belauschte Kundengespräch, und doch hatte ich mit meiner Frage eine Ratlosigkeit provoziert, die man schon als Aporie bezeichnen konnte. Aber vielleicht war eine Frage dieser Art auch noch nie in diesem Laden gestellt worden, weil doch jeder, der den Laden betritt, durch das Betreten des Ladens nachweist, dass er so ziemlich einigermaßen Bescheid weiß, wenigstens in dem Segment, in dem er das will. Ich dankte, war froh, dass die Profis auch nicht unbedingt fehlerfrei aufsagen können, was was ist, kaufte das Album und trollte mich aus dem Laden. Einen Tag später fiel mir die Musikzeitschrift Intro in die Hände. Die nannten die CD von LTJ Bukem das „allerallerletzte der noch zu erwartenden Drum’n’Bass-Artist-Alben“ und wussten, dass wir jetzt in dem Jahr leben, „nach dem Drum’n’Bass brach“. Brach? Nicht wenigstens ausbrach? Jedenfalls schloss die Kritik mit einem fiesen „Knapp an der Bauchlandung vorbei, würde ich sagen.“ War also wieder nichts mit der Kurskorrektur Richtung Zeitgeist. Ich legte trotzdem die Platte Tag für Tag ein, ohne das defizitäre Gefühl, das sich meiner annahm, damit besänftigen zu können. Wieder hatte ich mich nur unzureichend versorgt, wieder hatte ich versagt, wieder war es mir nicht gelungen, Bescheid zu wissen. Aber wozu gibt es das Wort von Samuel Beckett: „No matter, try again, fail again, fail better“, und aus den Lautsprechern antwortete ein uraltes Stück von Beck dem Beckett: „I‘m a loser, baby, so why don‘t you kill me?“

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