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heute in hamburg„Nicht alles, was politisch falsch ist, ist auch antisemitisch“

Micha Brumlik

73, Erziehungswissenschaftler, leitete das Fritz Bauer Institut zur Geschichte des Holocaust, ist Profes­­­sor am Zentrum Jüdische Studien in Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt.

Interview Alexander Diehl

taz: Herr Brumlik, in Ihrem neuen Buch bezeichnen Sie das Attentat auf die Synagoge in Halle 2019 als „Wendepunkt“ – warum?

Micha Brumlik: Es ist insofern ein Wendepunkt, als es da wieder die jüdische Religion gewesen ist, die als Ziel ausgesucht wurde – wie es Jahrhunderte, Jahrtausende lang passiert ist. Jüdinnen und Juden werden immer auch mit ihrer Religion identifiziert. Das haben wir auch während der sogenannten Gaza-Proteste gesehen, vor allem in Nordrhein-Westfalen: Da haben pro-palästinensische Gruppen ja nicht etwa vor irgendwelchen israelischen Einrichtungen protestiert. Sondern vor Synagogen.

Ist Antisemitismus heute ein größeres Problem als vor 10, 20 oder auch 200 Jahren?

Ein Problem war er auch vor 200 Jahren, oder bei Gründung des Deutschen Reiches, also nicht ganz so lange her: Da wurden auch die ersten förmlichen Antisemitenparteien gegründet. Und untergründig gab es Formen des heutigen Antisemitismus in der Bundesrepublik auch vor 30, 40 Jahren; allerdings nicht in einer solchen Offenheit.

Welche Rolle spielt das Christentum?

Es ist der entscheidende Faktor bei der Ausbildung von Judenhass; der gehört gewissermaßen zur DNA des christlichen Abendlandes.

Manche deutschen Stimmen stellen Antisemitismus heute als importiertes Problem dar: Während „wir“ unsere Lektion gelernt hätten, kehre er von außen zurück; mitgebracht von Menschen muslimischen Glaubens.

Das Phänomen sehe ich grundsätzlich auch. Ich möchte allerdings eine scharfe Unterscheidung ziehen zwischen Islam und Islamismus. Den Islamismus halte ich weitgehend für judenfeindlich, den Islam als solchen nicht. Man findet zwar im Koran Texte, die sich sehr kritisch, wenn nicht abfällig mit dem Judentum auseinandersetzen, aber das ist eine Form spätantiker Religionspolemik. In der Geschichte des Islam ist es dem Judentum immer sehr viel besser gegangen als im christlichen Herrschaftsbereich.

Und der Islamismus?

Der moderne Islamismus entsteht als Reaktion auf die westliche Moderne und, in gewisser Weise, auf den Zionismus. Und da kommen dann stark judenfeindliche Elemente hinein.

Es ist mitunter die Rede von einer Zweckentfremdung des Antisemitismus-Vorwurfs: Indem ich jemanden als Antisemiten bezeichne – eine Handlung oder Aussage als antisemitisch –, kann ich lästige Positionen aus dem Diskurs ausschließen.

Das gibt es. Die heftigen Angriffe der Springer-Presse auf eine Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, nämlich Carolin Emcke, haben das ja gerade einmal mehr bewiesen.

Ist der heute verstärkt im Munde geführte Antizionismus nicht ein Platzhalter, wenn jemand nicht das eigentlich Gemeinte ausstellen möchte: Judenhass?

Das wird in einigen Fällen so sein. Aber auch da würde ich eine scharfe Unterscheidung treffen. Ich selbst war einer der ersten deutschen Unterzeichner der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die unter anderem feststellt, dass Boykott, Desinvestition und Sanktionen, kurz: BDS, nicht per se antisemitisch ist. Das ändert nichts daran, dass ich insgesamt die Politik von BDS für falsch halte. Nicht alles, was politisch falsch ist, ist damit auch antisemitisch.

Die Präsentation Ihres Buches haben die veranstaltenden Rosa-Luxemburg-Stiftungen auf den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion gelegt.

Das hat insofern miteinander zu tun, als der Einfall der Deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion Platz geschaffen hat für die judenmörderischen Einsatzgruppen der SS. Mit diesem Feldzug war klar: Alle jüdischen Menschen, die unter die Herrschaft des Deutschen Reiches oder seiner Mitläufer gerieten, sollten entweder versklavt werden oder umgebracht.

Ein vergleichsweise sauberer Krieg einerseits, das Menschheitsverbrechen Shoa andererseits: Diese mitunter bemühte Unterscheidung lässt sich also nicht aufrecht erhalten?

Nein, in keiner Weise.

Buchvorstellung „Antisemitismus. 100 Seiten“: 18 bis 20 Uhr über Zoom. Anmeldung bis 15 Uhr an anmeldung@rls-hamburg.de

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