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heute in hamburg„Soldaten in einem Täterkontext“

Online­führung

„denk mal! Das umstrittene Kriegerdenkmal in Wilhelmsburg“, 11 Uhr, auf www.gedenken-hamburg-mitte.de

Interview Lukas Door

taz: Herr Linck, was möchte das „denk mal!“-Projekt konkret erreichen?

Stephan Linck: Wenn wir uns als Ausgangspunkt die Situation in Deutschland anschauen, dann sieht es so aus, als seien wir Weltmeister der Erinnerungskultur. In der Praxis suggerieren eine Vielzahl der existierenden Denkmäler eine positive Bewertung der Kriegszeit und des Nationalsozialismus. Und durch die wachsende Kritik an diesen Darstellungen ist in den letzten Jahren immer mehr Bewegung in unser Projekt gekommen. Entsprechend organisieren meine Kol­le­g*in­nen der Wilhelmsburger „denk mal!“-Gruppe die morgige Onlineführung. Auf einer Website stellen wir Kriegerdenkmäler kritisch vor.

Wo sehen Sie die größte Gefahr?

Wenn Kriegerdenkmäler unkommentiert bleiben und nicht hinreichend eingeordnet werden, dann laufen wir Gefahr, dass heranwachsende Generationen den Kontext überhaupt nicht mehr erfassen können. Außerdem bietet es natürlich Spielraum zur Instrumentalisierung durch Neonazis. Vor einem Jahr, am Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, haben in Ratzeburg beispielsweise Mitglieder der NPD vor einem Kriegerdenkmal einen Kranz niedergelegt, auf dem stand: „Wir feiern nicht“.

Wie kann denn eine neue Kontextualisierung von Kriegsdenkmäler aussehen?

Stephan Linck

57, ist Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit an der Evangelischen Akademie der Nordkirche.

Da gibt es zwei Varianten. Als Historiker trete ich dafür ein, Denkmäler um Beschilderungen zu ergänzen. Dadurch träten Soldaten nicht mehr als heroische Beschützer der Heimat auf, sondern ließen sich in einen Täterkontext setzen. Die zweite Variante wäre die künstlerische Intervention. Ähnliches ist auch bei dem Projekt der Wilhelmsburger „denk mal!“-Gruppe geplant. Kerngedanke dabei ist, die Denkmäler durch künstlerisches Eingreifen zu befragen.

Spiegelt ein unkritischer Umgang mit Geschichte auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wider?

Ich sehe das eher als Wechselspiel. Ich denke, dass wir uns mit unserem Projekt weder an der Vergangenheit aufhängen, noch ausschließlich für die Gegenwart arbeiten. Wir wollen zur Reflexion über Krieg und Frieden anregen. Die nahezu komplette Abwesenheit von Denkmälern für die Opfer der Kriegsverbrechen kreiert ein ganz verzerrtes Bild. Diese Debatte findet sich beispielsweise auch im Diskurs rund um Kolonialdenkmäler wieder: Generell stellt sich die Frage, wie man vermeiden kann, dass Täter als Helden oder gar als Opfer maskiert werden. Aber glücklicherweise ist dahingehend mittlerweile eine rege Diskussion im Gange.

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