heute in hamburg: „Geflüchtete werden allein gelassen“
Interview Emmy Thume
taz: Herr Kirpal, wie geht die Arbeit mit Geflüchteten in der Pandemie?
Jakob Kirpal: Pro Tag treffe ich einzeln drei bis vier Menschen zur Nachhilfe, manchmal auch für die Wohnungssuche oder um mal einen Lebenslauf zu korrigieren.
Geht das nicht online?
Viele Geflüchtete sind medial nicht so superfit oder haben nicht die technischen Geräte, um an Online-Sprachkursen teilzunehmen. Dann läuft die Nachhilfe eben in Präsenz.
Trifft die Coronapandemie Geflüchtete besonders hart?
Das größte Stützbein, das im Moment wegfällt, ist die Arbeitssituation. Vor der Pandemie konnte man über Zeitarbeitsfirmen Jobs finden, gerade in der Gastronomie. Jetzt haben viele Geflüchtete ihren Job verloren. Ich glaube, deshalb sind Deutschkenntnisse sehr wichtig. Um eine Ausbildung anfangen zu können, braucht man B1 als Level. Wenn man im Geflüchtetenheim wohnt und gar keinen Kontakt mehr zu Leuten hat, die sonst Deutsch sprechen, rosten die Sprachkenntnisse ein.
Wo fehlt es noch?
Bevor die dritte Welle ausgebrochen ist, war ich ein paar Mal mit Geflüchteten bei Fördern und Wohnen oder der Stadtteildiakonie, um zu übersetzen. Aber weil man sich drinnen nicht mehr mit drei Personen treffen kann, fällt diese Übersetzung weg. Es ist für die Geflüchteten sehr schwierig, Dinge telefonisch zu klären. Deswegen ist so eine Übersetzerrolle wichtig, etwa um zwischen potenziellem Vermieter und dem Geflüchteten zu vermitteln. Das fällt im Moment weg. Dadurch ist die Wohnsituation schwierig.
Was könnte die Lage verbessern?
Auf die ganze Sache sollte mehr Aufmerksamkeit gerichtet werden. Ich habe das Gefühl, durch die Pandemie ist jeder bei sich und seinen eigenen Alltagssorgen angekommen. Viele haben überhaupt nicht auf dem Schirm, wie schwer der Alltag sein kann, wenn du keinen Job hast oder ein prekäres Wohnverhältnis.
Was kann der Staat tun?
Ich bin überrascht, wie viel an der Sprache scheitert. Für Geflüchtete herrscht schon viel Papierkrieg beim Bundesamt für Migration und dem Jobcenter und Mietverträgen. Das ist alles in einer Sprache, die man schon als deutscher Muttersprachler nicht unbedingt direkt versteht. Ich bin einfach überrascht, wie alleine gelassen die damit werden und Behörden nicht in der Lage sind, irgendeine Form von Mediation möglich zu machen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen