heute in hamburg: „Pandemie wird gegen Proteste genutzt“
Vortrag und Diskussion: „Talkin‘ about a Revolution: Globale Proteste, lokale Kämpfe“, 16 Uhr, digital, Anmeldung per Mail an zeitAlter@w3-hamburg.de oder unter ☎ 39 80 53 83
Interview Lissy Malethan
taz: Frau Tügel, welche Verbindungen gibt es zwischen den zahlreichen Aufständen des vergangenes Jahres?
Nelli Tügel: Überall waren entweder soziale Themen Auslöser für Proteste: Preiserhöhungen, Steuerankündigen oder Angriffe auf die Demokratie. Überall, unabhängig vom Auslöser, kam es relativ schnell zu einer grundsätzlichen Infragestellung der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Systeme. Die Protestbewegungen haben sich zudem auch gegenseitig inspiriert und befruchtet.
Warum legen Sie den Fokus ihres Vortrages vor allem auf Lateinamerika, den Nahen Osten und Nordafrika?
Letztes Jahr gab es auf der ganzen Welt eine Häufung von Aufständen und Revolten, aber vor allem mit regionalen Schwerpunkten in der erweiterten MENA-Region – also im Mittleren Osten und in Nordafrika – , und in Lateinamerika. Dort gab es viele, zum Teil sehr lang andauernde Proteste. Diese beiden Regionen bilden Schwerpunkte. In Europa war es im Vergleich dazu, mit Ausnahme von Frankreich, relativ ruhig.
Welche Rolle spielen Frauen bei den Aufständen?
Das ist eine Gemeinsamkeit aller Proteste, egal ob im Libanon, Sudan oder Chile. Überall war zu beobachten, dass feministische Positionen und Bewegungen eine zentrale Rolle gespielt haben. Frauen waren in der ersten Reihe der Proteste und haben einen großen Anteil der Demonstrierenden ausgemacht. Feministische Themen und Anliegen sind in die Proteste eingeflossen.
Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Aufstände?
Vielerorts wurden die Proteste erst mal ausgebremst. In Chile hat die Regierung die Pandemie genutzt, um die Leute mithilfe der Maßnahmen von der Straße zu bekommen.
Sind die Proteste damit beendet?
Nein, das hat nur vorübergehend funktioniert. Jetzt zeigt sich, dass trotz der Pandemie und der Stille, die teilweise eingekehrt ist, weder der Protestzyklus beendet ist noch die Themen sich erledigt haben. Hinzu kommen neue Massenbewegungen, die sich dieses Jahr gebildet haben. Ganz aktuell die Jugendrevolte in Nigeria. Soziale Ungerechtigkeiten und Armut verschärfen sich durch die Coronapandemie ja noch zusätzlich. Ich kann mir vorstellen, dass wir neue Ausbrüche erleben werden, die auch an die Protestbewegungen von 2019 anknüpfen.
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