piwik no script img

heute in hamburg„Viele wissen nicht, was ihnen zusteht“

Cornelia Hlawatsch, 44, ist Pflegeleitung des Palliativ-bereichs am Universitäts-klinikum Eppendorf.

Interview Selma Hornbacher-Schönleber

taz: Frau Hlawatsch, hat die Coronapandemie die Situation pflegender Angehöriger verändert?

Cornelia Hlawatsch: Ganz massiv. Aus Angst, die Pflegebedürftigen anzustecken, fällt viel Hilfe weg: Also weniger Entlastung durch Austausch und Hilfe von Freund*innen und Angehörigen. Und die formelle Hilfe wird weniger, weil Menschen aus Sorge vor Corona weniger ins Krankenhaus gehen. Gleichzeitig sind ambulante Angebote und Psychotherapien überlastet.

Und welche Herausforderungen gibt es allgemein?

Besonders die Doppelrolle: einerseits die größte Ressource der Patient*innen zu sein, andererseits eigene Bedürfnisse, Sorgen und Ängste zu haben. Die stellen pflegende Angehörige oft zurück. Dabei kann langfristig nur gut pflegen, wem es auch selbst gut geht. Außerdem ist der Zugang zu formellen Angeboten oft schwierig. Viele wissen nicht, was es gibt und was ihnen zusteht. Zusätzlich wird bei berufstätigen Angehörigen oft nicht gesehen, wie viel Zeit, Belastungen und Emotionen in der Pflege stecken. Da kommt es auch immer auf die Arbeitgeber an. Die Dunkelziffer von Menschen, die Angehörige pflegen, ist riesengroß.

Stehen bestimmte Personen besonders unter Druck?

Zusätzliche Belastung kommt aufgrund des eigenen Alters und Gesundheitszustands zustande, wegen Beruf und Kindern oder weil sie wenig Unterstützung durch Freund*innen und Familie haben. Und natürlich schulpflichtige Kinder: Manche Jugendliche machen kein Abitur, um ihre Angehörigen zu pflegen. Und von Frauen erwarten Gesellschaft und Familie nach wie vor mehr als von Männern, dass sie sich um Angehörige kümmern.

Welche Hilfe können Ihre Seminare Angehörigen bieten?

Online-Veranstaltungsreihe „Angehörige(r) sein, Ressourcen stärken“, 17:30 Uhr, kostenlos, Anmeldung unter angehoerige@uke.de

Empowerment, also Hilfe zur Selbsthilfe. Wir bieten aus einer Hand verschiedene Themenbereiche an, wie Tipps für die Pflege und zum Erkennen eigener Bedürfnisse. Wir richten uns an alle Angehörigen Erkrankter, nicht nur Pflegende, und man kann jederzeit einsteigen.

Was müsste zusätzlich von offizieller Seite getan werden?

Es müssen mehr Angebote geschaffen und bürokratische Hürden gesenkt werden! Und mehr finanzielle Unterstützung: Angehörige zu pflegen, muss man sich leisten können. Und dass Krankenkassen wenig zahlen, was der Gesundheit pflegender Angehöriger dient, muss sich ändern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen