piwik no script img

heute in hamburg„Cassirer hatte keinen Rückhalt von Kollegen“

Buchvorstellung „So muss ich fortan das Band als gelöst ansehen. Ernst Cassirers Hamburger Jahre 1919 bis 1933“: 19 Uhr, Warburg-Haus, Heilwigstraße 116, Eintritt frei

Interview Paula Bäurich

taz: Frau Wittek, welche Verbindung haben Sie zu Ernst Cassirer? Sie haben ja selbst gar nicht Philosophie, sondern Gesellschaftswissenschaften studiert.

Susanne Wittek: Ich arbeite seit 15 Jahren über Menschen, die durch den Nationalsozialismus bedroht waren und deswegen Deutschland verlassen haben. Dabei gehe ich immer biografisch vor und konzentriere mich auf Einzelschicksale von Exilanten, die für Hamburg wichtig waren und sind. Cassirer hat in diesem Feld eine herausragende Bedeutung.

Wie hat Cassirer die Zeit an der Universität Hamburg erlebt?

Schon bevor Cassirer an die Universität Hamburg kam, 1919, hat es in Hamburg antisemitische Umtriebe gegeben. Er war von Anfang an damit konfrontiert, dass es von nichtjüdischen Studierenden Versuche gab, jüdische auszugrenzen. Zudem gab es im Laufe der Jahre Übergriffe auf jüdische Professoren. Diese Vorfälle wurden zwar an der philosophischen Fakultät diskutiert, jedoch von vielen Lehrenden heruntergespielt. Diese Ereignisse müssen Cassirer alarmiert haben, da sie ihm gezeigt haben, dass er sich nicht auf den Rückhalt durch seine Kollegen verlassen konnte.

Wie hat Cassirer die Universität Hamburg geprägt?

Cassirer genoss als Philosoph in der Stadt hohes Ansehen. Er war Mitglied in vielen Verbänden und als Vortragender sehr gefragt. Während seiner Zeit als amtierender Rektor der Universität setzte er gegen Widerstände seiner Kollegen eine Feier zu Ehren der republikanischen Verfassung durch – eins seiner großen Verdienste.

Welche Bedeutung hat Cassirer für die Philosophiegeschichte?

Susanne Wittek, 1952 geboren, ist Autorin, Moderatorin und Übersetzerin, schreibt zum politischen und künstlerischen Exil während der NS-Diktatur.

Cassirer zeichnet sich dadurch aus, dass er immer geistesgeschichtlich dachte. Und er war nicht nur Philosoph, sondern ein Universalgelehrter. Seine „Philosophie der symbolischen Formen“ ist sein bekanntestes Werk. Darin erläutert er, dass für ihn Kultur aus dem Prozess der fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen besteht. Darüber gibt es eine wachsende Vielzahl philosophischer Abhandlungen.

Der Titel Ihres Buchs ist das Cassirer-Zitat „So muss ich fortan das Band als gelöst ansehen“. Warum?

Das Zitat stammt aus einem Brief, den er 1933 an den Dekan der philosophischen Fakultät geschrieben hat. Darin begründete er, warum er von sich aus Nazi-Deutschland und die Universität Hamburg verlassen hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen