heute in hamburg: „An die Grenze verschleppt“
Interview Katharina Gebauer
taz: Frau Vagt, was ist in Hamburg am 28. Oktober 1938 passiert?
Kristina Vagt: Vor 81 Jahren wurden circa 1.000 Juden und Jüdinnen mit polnischer Staatsbürgerschaft ohne Vorankündigung festgenommen und zur Polizei gebracht. Von dort aus kamen sie zu Sammelstätten und wurden schließlich vom Altonaer Bahnhof an die deutsch-polnische Grenze verschleppt. Die Situation im polnischen Ankunftsort war improvisiert und die Versorgung katastrophal. Die Vertriebenen hatten wenig Gepäck dabei. Einige konnte ins Landesinnere einreisen, andere versuchten, ins westliche Ausland zu emigrieren, was oft nicht klappte. Sehr viele kamen später in deutschen Konzentrationslagern um.
Welche Bedeutung hatte die „Polenaktion“?
Gedenkveranstaltung „Polenaktion 1938“ mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Wolfgang Kopitzsch: 16 Uhr, Gedenkstein am Paul-Nevermann-Platz
Die meisten haben sich nicht als Polen gefühlt, sondern als Deutsche. Das hängt mit der polnischen Staatsgründung 1918 zusammen. Menschen, die auf dem nun polnischen Territorium geboren waren, erhielten die polnische Staatsbürgerschaft. Im Herbst 1938 mussten polnische Staatsangehörige, die länger als fünf Jahre im Ausland lebten, einen Vermerk von den polnischen Behörden einholen. Sonst hätten sie die Staatsbürgerschaft verloren. Das NS-Regime kam dem mit der Massenausweisung zuvor. Heute wissen wir, dass die „Polenaktion“ ein „Testlauf“ für die folgenden großen Deportationen nach Ost- und Mitteleuropa war.
Wie wird an die „Polenaktion“ gedacht?Seit 2002 erinnert der Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein mit Gedenkfeiern an die Aktion. Das lokale Gedenken am Bahnhof Altona ist sehr begrüßenswert. 1987 hat das Bezirksamt einen Gedenkstein aufgestellt. Zudem wird zurzeit das Dokumentationszentrum „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ vorbereitet, das die Deportationen der Juden, Sinti und Roma in Norddeutschland und auch die „Polenaktion“ im größeren Kontext zeigen wird.
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