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heute in hamburg„Migration verkauft Bücher“

Foto: Miguel Ferraz

Dan Thy Nguyen, 32, ist freier Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Sänger in Hamburg.

taz: Herr Nguyen, ein Autor soll eine „Musikrevue über Rassismus“ schreiben: Sind das echte Erlebnisse?

Dan Thy Nguyen: Das basiert wirklich auf einem Auftrag, den ich bekommen habe. Weil das aber ziemlich lächerlich klingt, habe ich ein Stück darüber geschrieben, wie jemand ein Stück schreibt, eben eine Musikrevue. Das ist aber nur ein Aufhänger zur Verarbeitung dessen, was in den letzten drei, vier Jahren in Europa geschehen ist.

Nämlich?

Wir beginnen mit den Europawahlen 2014, bei denen die rechten Parteien, sagen wir: zum ersten bewussten Mal so stark ins Europaparlament kamen. Wir verfolgen dann alle weiteren politischen Ereignisse aus der Sicht eines Künstlers, und wie er damit umgeht. Es geht auch darum: Wie sind wir als Gesellschaft in den letzten drei Jahren damit umgegangen.

Sie haben sich immer wieder mit solchen Themen befasst – auch in Form von Musiktheater?

Das war jetzt komplett neu für mich. Der Auftrag ging darum, eine Musikrevue zu machen, darum, politische Themen nicht zu ernst anzugehen. Die meisten meiner Stücke sind aber verhältnismäßig ernst. Und da wurde mir nun gesagt: Warum machst du nicht mal etwas Lustiges – über Rassismus?

Haben Sie Verständnis für so eine Aussage?

Das geschieht natürlich aus einem ganz bestimmen ökonomischen Grund. Die Argumentation der Produzentin damals war: Ein Großteil der Gesellschaft interessiert sich nicht dafür, wenn es zu ernst ist – und über Rassismus. Probleme der Gesellschaft können also nicht angesprochen werden, wenn das Ergebnis nicht in irgend einer Form Entertainment ist. Das ist, glaube ich, ein Grundproblem unserer Gesellschaft.

Hat die „Flüchtlingskrise“ daran etwas geändert?

Absolut. Flucht und Migration sind Modethemen geworden und Narrative innerhalb eines ökonomischen Prozesses: Mit Migration kann man mittlerweile Bücher verkaufen und Theaterstücke auch. Ob deshalb aber auch verantwortungsvoll mit diesen Themen umgegangen wird, das ist etwas völlig anderes. Es gibt da eine gewisse perverse Logik. Unser Stück über Rostock-Lichtenhagen, „Sonnenblumenhaus“, wird jetzt öfter angefragt – unter anderem, weil Flüchtlingsunterkünfte brennen. Auch allgemein werde ich öfter angefragt, auch weil man glaubt, dass ich selbst Migrant erster Generation sei. Gestern noch schrieb das Abendblatt: „Der Vietnamese …“ – bin ich ja gar nicht. Ich werde oftmals als der migrantische Theaterregisseur wahrgenommen werde, und dann ist man geschockt, dass ich so gut Deutsch spreche. Interview Alexander Diehl

„Yesterday never died“: heute und morgen, jeweils 20 Uhr, Haus Drei, Hospitalstraße 107

www.festival-eigenarten.de

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