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heute in hamburg„Syrien gibt es so nicht mehr“

AUSSTELLUNG „Lost Heimat“ zeigt Syrien in den Neunzigern und Portraits von Geflüchteten

Foto: Philipp Rathmer
Martin Niessen

48, Journalist und Autor, hat Islamwissenschaften studiert und berichtet auch für TV-Sender aus Krisengebieten.

taz: Herr Niessen, Sie waren 1995 in Syrien. Was war Ihr Eindruck von dem Land?

Martin Niessen: Ich war von der Vielfalt des Landes und der Geschichte beeindruckt. In Syrien stößt man auf die Spuren vieler Hochkulturen. Die kulturhistorische Bedeutung war überall präsent. Es war ethnisch und religiös heterogen. Es gab christliche Gemeinden, Jesiden, Sunniten, Schiiten und Alewiten. Es war ein buntes Land.

Wie begegneten Ihnen die Menschen?

Es hat mich bewegt, wie freundlich und offen jeder war. Und das zu einer Zeit, in der das Land ziemlich abgeschottet war.

Wie abgeschottet war es?

Damals regierte noch Hafiz al-Assad, der Vater von Baschar. Syrien war ein pseudosozialistisches System und ein Bruderstaat der Sowjetunion. Es gab keinerlei internationale Zeitungen oder Fernsehsender. Ich habe in Aleppo studiert und wochenalte Spiegel-Zeitschriften waren die einzige Möglichkeit für mich, zu erfahren, was in der Welt passierte.

Wie haben Sie Ihre Zeit in dem Land dokumentiert?

Ich hatte damals 30 Dia-Filme mit jeweils 36 Bildern dabei, damit bin ich durch das Land gezogen. Ich habe dadurch einen Schatz von rund 1.000 Dias, die ein Land zeigen, dass es so nicht mehr gibt.

Was haben Sie fotografiert?

Zum Beispiel die historische Altstadt von Aleppo. Die existiert heute fast nicht mehr. Auf meinen Bildern sind fast immer Menschen, die im Zusammenhang mit den Orten stehen. Das Leben der Leute ist erkennbar.

Wie sah das Leben aus?

Eines meiner Lieblingsfotos ist irgendwo auf dem Weg nach Palmyra entstanden. Ich kam an einer Hütte eines Schafshirten vorbei und fragte, ob ich ihn fotografieren darf. Er meinte, das sei okay, aber nur wenn ich mit ihm Tee trinke. Also saß ich anderthalb Stunden mit ihm und seiner Familie beim Tee. Diese Gastfreundlichkeit war typisch.

Wie kam es zu der Ausstellung?

2012 habe ich mir überlegt, was ich mit den Bildern machen kann. Ich dachte, die müssen an die Öffentlichkeit. Aber ich wollte nicht nur alte Bilder zeigen. So entwickelten Philipp Rathmer und ich die Idee, die Dias mit Portraits von Geflüchteten und ihren Hintergründen zu verbinden. Die Geflüchteten waren froh, dass sie mal nicht über Krieg und Flucht befragt wurden, sondern sich jemand für ihr Leben vor dem Krieg interessiert. Jule Kühn begleitete das Projekt filmisch.

Interview Philipp Steffens

„Lost Heimat – Erinnerungen an Syrien“: Rathaus, 7 – 19 Uhr

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