piwik no script img

heute in hamburg„Unbeteiligte erschossen“

Gedenken VVN erinnert im Hof des Gerichts an die Toten des „Altonaer Blutsonntags“ vor 85 Jahren

Foto: Stefan Sauer/dpa
Cornelia Kerth

62, ist Abgeordnete der Linken und Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten.

taz: Frau Kerth, was passierte am Altonaer Blutsonntag, an den die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN heute erinnert?

Cornelia Kerth: Am 17. Juli 1932 – vor Hitlers Machtergreifung – marschierte die SA durchs „rote Altona“, in dem damals viele Sozialdemokraten und viele Kommunisten wohnten. Der Marsch durch dieses Arbeiterviertel, den der damalige Polizeipräsident Otto Eggerstedt (SPD) erlaubte, galt als Machtdemonstration. Im Laufe dieses Marschs wurden zwei SA-Männer erschossen.

Von wem?

Das ist bis heute ungeklärt. Jedenfalls hat die Polizei daraufhin massiv in die umliegenden Häuser geschossen. Angeblich auf Heckenschützen auf Dächern, aber in Wirklichkeit traf es Unbeteiligte: 16 Hausbewohner, die aus ihren Fenstern schauten.

Wurde das geahndet?

Die Taten der Polizei nicht. Stattdessen wurden Hunderte Zivilisten verhaftet und verurteilt – unter anderem Bruno Tesch, Walter Möller, Karl Wolff und August Lütgens. Diese vier wurden am 1. 8. 1933 auf dem Hof des Altonaer Gerichts, wo die heutige Gedenkveranstaltung stattfindet, mit dem Handbeil hingerichtet.

Was warf man ihnen vor?

Einen Komplott, zu dem angeblich auch die Ermordung der beiden SA-Männer gehörte. Dabei kannten sich die vier gar nicht und waren auch nicht alle organisiert. August Lütgen allerdings war ein bekannter Kommunist.

Bekamen sie einen fairen Prozess?

Nein. Es sind definitiv Leute für belastende Aussagen bezahlt worden. Entlastendes wurde nicht zu Protokoll genommen.

Woher weiß man das?

Aus den Recherchen und Büchern des Résistance-Kämpfers Léon Schirmann aus den 1980er-Jahren, der die Prozessakten minutiös studierte.

Während die gerichtliche Aufarbeitung und die Aufhebung der Todesurteile erst 1992 stattfanden.

Das ist kein Einzelfall. Da nach 1945 kein Richter entlassen wurde, ist die Schuld der NS-Justiz lange nicht bearbeitet worden.

Hat die Polizei die Erschießung der 16 Anwohner je aufgearbeitet oder sich bei den Hinterbliebenen entschuldigt?

Soweit ich weiß, bis heute nicht.

InterviewPS

Gedenkveranstaltung zum Altonaer Blutsonntag: 18 Uhr, Hinterhof des Amtsgerichts Altona (Zugang über Gerichtstraße)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen