piwik no script img

heute in hamburg„Wollen modern erscheinen“

VORTRAG Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit erklärt die „Identitäre Bewegung“

Andreas Speit

51, ist Publizist und Autor der taz.nord. Er recherchiert seit Jahren über Neonazis und rechtspopulistische Bewegungen. Im Oktober erschien sein neues Buch „Bürgerliche Scharfmacher“ über Deutschlands neue rechte Mitte.

taz: Herr Speit, welche aktuellen Aktionen der „Identitären Bewegung“ halten Sie für besonders besorgniserregend?

Andreas Speit: ‚Besorgniserregend‘ ist, finde ich, das falsche Wort, weil Alarmismus bei der neuen rechten Bewegung nicht angebracht ist, sondern ein viel tief gehender Blick. Denn dann lässt sich erkennen, dass die spektakulären Aktionen – wie die Besetzung des Brandenburger Tors – eigentlich nicht anders waren als die Aktionen, die zuvor schon von Linken kamen.

In der Tat könnte man denken, es handele sich um Linke – zumindest, wenn man nur von den Aktionen der Identitären Bewegung hört.

Genau das ist auch ein Stück weit die Strategie. Sie wollen modern und dynamisch erscheinen. Umso wichtiger ist es, sich anzuschauen, in welcher ideologischen Traditionslinie sie sich bewegen: nämlich der konservativen.

Grenzen sich die neurechten Revolutionäre von den dumpfen Skinheads ab?

Die Neue Rechte will sich unbedingt von den alten Nazis abgrenzen. Man muss aber genau hinschauen, dann kann man feststellen, dass etliche Vordenker sehr wohl das politische und kulturelle Klima schon in der Weimarer Republik geformt haben und mit zum Nationalsozialismus beigetragen haben.

Welche Rolle nimmt die Identitäre Bewegung innerhalb der rechten Szene Europas ein?

Die Neue Rechte war vor allem ein Projekt von Zeitungen, Zirkeln und Seminaren. Mit der Identitären Bewegung geht man einen Schritt weiter: Die Neue Rechte versucht, durch politische Aktionen in den öffentlichen Diskurs zu treten.

Wie kann ein Umgang damit aussehen? Sollte man die Rechten mit diesen Publiciy-Aktionen einfach links liegen lassen?

Bisher haben wir es ja geschafft, die neurechte Szene über dreißig Jahre lang zu ignorieren. Ich befürchte sogar, das ist der Grund, wieso sie so erfolgreich geworden sind. Wir haben Zeit verstreichen lassen, in der die Bewegung stärker geworden ist, weil wir sie nicht wahr- und ernst genommen haben.

Interview: Nora Kaiser

Vortrag „Rassismus im schwarz-gelben Gewand – Hintergründe der Identitären Bewegung“: 18 Uhr, HAW, Berliner Tor 5, Raum 3.15

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen