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heute in bremen„Über Suizid zu sprechen, ist ein Tabu“

N. Wolff/Fotoetage

Ulrike Oetken

55, Pastorin und Ausbildungsbeauftragte bei der Bremischen Evangelischen Kirche.

Interview Eiken Bruhn

taz: Frau Oetken, die Gedenkfeier an Menschen, die durch Suizid gestorben sind, heißt „Berührungen“. Und das in Coronazeiten?

Ulrike Oetken: Ja, den Begriff habe ich bewusst gewählt, auch wenn wir uns natürlich an Hygiene- und Abstandsregeln halten. Aber gerade in diesen Zeiten fehlen uns Berührungen, ja nicht nur auf einer körperlichen Ebene. Es geht auch um das, was uns berührt, nahe kommt. Das hat sehr viel mit dem Thema ­Suizid zu tun.

Inwiefern?

Wenn jemand in so einer schweren Situation ist, dass er oder sie nicht mehr leben möchte, ist er auch unerreichbar für Angehörige oder Freunde und Freundinnen. Das haben mir viele von denen gesagt, die schon häufiger zu diesem Gedenken gekommen sind, dass sie jemand nahe kommen wollten, der sie aber nicht mehr an sich herangelassen hat.

Wer kommt zu diesen Feiern?

Manche kommen regelmäßig, seitdem wir das 2015 zum ersten Mal gemacht haben. Bei einigen ist das Ereignis ganz frisch, bei anderen liegt es Jahrzehnte zurück, aber es berührt sie immer noch sehr. Mir ist wichtig, dass man nicht fromm sein muss, es ist für alle offen und kein Gottesdienst. Es gibt Musik, Stille und ich lese aus Texten.

Dabei durften früher Menschen, die sich selbst getötet haben, nicht einmal auf Friedhöfen beerdigt werden.

Ja, es ist auch noch nicht so lange her, dass man von Selbstmord gesprochen hat, gerade auch in kirchlichen Kreisen. Das Wort bewertet den Suizid und rückt ihn in die Nähe eines Verbrechens.

Gedenken an Menschen, die durch Suizid gestorben sind:

Samstag, 17 Uhr, Kirche St. Ansgarii, Schwachhauser Heerstraße 40

Tabuisiert ist er aber immer noch und es ist schwer, darüber zu sprechen, aus Angst, zur Nachahmung anzustiften.

Das stimmt. Ich weiß auch nicht, wie viele Trauerfeiern ich als Pastorin ausgerichtet habe für Menschen, die sich suzidiert hatten. Ich glaube, da waren einige dabei, bei denen mir niemand etwas davon gesagt hat. Manchmal haben mir Angehörige unter vier Augen gesagt, dass es ein Suizid war, das sollte aber niemand wissen. Oft ging es dabei um die vielleicht schon erwachsenen Kinder, die ihren Vater anders in Erinnerung behalten sollten. Dabei spüren Menschen ja, wenn es jemand über längere Zeit nicht gut geht, da wäre es besser, wenn sie eine Erklärung hätten.

Befürchten Sie, dass sich im Zuge der Pandemie mehr Menschen suizidieren?

Das ist meine große Sorge, ja. Ich höre von vielen Menschen in meinem Umfeld, dass sie sich niedergeschlagen fühlen, alleine, perspektivlos. Ich glaube nicht, dass Corona und die soziale Distanz der Auslöser für einen Suizid sind, aber diese Zeit kann dunkle Gedanken sicher befördern.

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