heute in bremen: „Fremdherr-schaft, die auf Gewalt basiert“
Lilli Hasche, 30, ist Kultur- und Politikwissenschaftlerin und veranstaltet für den „Arbeitskreis Hafen“ Stadtrundgänge.
Interview Selma Hornbacher-Schönleber
taz: Frau Hasche, warum veranstalten Sie ihre Führungen in der Überseestadt?
Lilli Hasche: Der Bau der Überseestadt fällt zeitlich zusammen mit der Formalisierung des deutschen Kolonialismus. Das ist kein Zufall: In dieser Zeit hat es sich gelohnt, einen Hafen zu bauen und die Weser schiffbar zu machen. Von der Überseestadt aus wurde mit Kolonien und Kolonialwaren gehandelt.
Wo sieht man heute noch die koloniale Geschichte?
Wir stehen bei den Stadtführungen vor dem Problem, dass die unmittelbar erkennbaren Spuren immer weniger werden. Auch die gibt es, zum Beispiel in Form von Straßenbenennungen nach Personen, die in den Kolonialismus involviert waren. Und man sieht Spuren, wenn man Zusammenhänge herstellt. Zum Beispiel, indem man das Hafenbecken als Teil eines Bauprojekts sieht, das kolonialen Zwecken gedient hat.
Was genau zeichnet den europäischen Kolonialismus aus?
Kolonialismus ist grundsätzlich ein Gewaltverhältnis, das muss man sich klar machen, bevor man sagt „Aber es wurden doch immerhin Brücken gebaut“. Es ist eine Fremdherrschaft, die auf Gewalt und Ausbeutung basiert. Kolonialismus hängt auch eng mit den männlichen Allmachtsfantasien von Naturbeherrschung in der europäischen Moderne zusammen.
Gibt es in Bremen Kontinuitäten, die bis heute weiterleben?
Ja, sicher. Zum Teil findet in der Überseestadt noch immer Handel mit Waren wie Kaffee statt, die eine koloniale Geschichte haben. Und die werden auch heute oft noch unter postkolonialen Bedingungen hergestellt: Die Arbeiter*innen werden ausbeutet und der Großteil der Gewinne bleibt in den Ländern des globalen Nordens. Wir sehen solche Kontinuitäten aber auch an Unternehmen, deren Gründung in die Zeit des Kolonialismus fällt. Viele von ihnen haben sich damals einen Grundstock an Reichtum aufgebaut, auf dessen Grundlage die Firmen bis heute weitergeführt wurden.
Postkolonialer Hafenrundgang in der Überseestadt: Samstag,11 Uhr und 10. August, 17 Uhr. Da die Teilnehmerzahl wegen Corona begrenzt ist, wird um Anmeldung per Mail gebeten an:
kontakt@ak-hafen.de
Welche Firma ist da besonders erwähnenswert?
Zum Beispiel das Logistikunternehmen „Kühne + Nagel“, das an der Domsheide sitzt. Die sind mit Baumwollhandel über den Atlantik groß geworden, was ja ein Gut mit starkem kolonialen Bezug ist. Später haben sie sich auch im Nationalsozialismus durch den Transport des enteigneten Eigentums von Jüdinnen und Juden bereichert. Sie haben also mehrfach von Ausbeutung und gewaltvollen Herrschaftsverhältnissen profitiert.
Was sollte getan werden, um angemessen mit diesem Teil der Bremer Geschichte umzugehen?
Eine zentrale Forderung ist, sich diese Vergangenheit bewusst zu machen, an Schulen und Unis über Kolonialismus, auch den deutschen, zu sprechen. Man muss sich damit auseinandersetzen, dass die bremische Lokalgeschichte diese globalen Bezüge hat. Das gilt auch für die Frage „Wie sollen Straßen benannt werden?“. Oft werden in der Stadt maritime Klischees aufgewärmt, ohne zu benennen, dass sie mit dem Kolonialismus verknüpft sind.
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