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heute in bremen„Alle sind gefährdet, zu erkranken“

Axel Kelm, 54, ist Sozial- und Heilpädagoge und Geschäftsführer des ASB/Gesellschaft für seelische Gesundheit Bremen.

Interview Simone Schnase

taz: Herr Kelm, Sie sprechen heute darüber, welches Menschenbild die heutige Psychiatrie­ prägt – welches denn?

Axel Kelm: Zu Grunde liegt ihm natürlich die Psychiatriereform der Siebzigerjahre. Da war Bremen so etwas wie ein Modellprojekt.

Inwiefern?

Damals wurde das Kloster Blankenburg aufgelöst, dort herrschten wirklich untragbare Zustände. Man hat die Menschen nach Bremen geholt und versucht, sie in die Stadtteile zu integrieren. In Bremen war die Richtschnur, vielfältige, individuelle Angebote zu schaffen, sowohl psychiatrische als auch nicht psychiatrische. Die psychiatrische Klinik war ebenfalls beteiligt. Im Rahmen des Reformprozesses entstanden dort flachere Hierarchien und der Wunsch nach Ambulantisierung.

Hat sich denn der Blick auf die psychischen Erkrankungen ebenfalls geändert?

Mein Ansatz und der vieler anderer war damals und ist noch immer, dass psychische Erkrankungen auch soziale Ursachen haben, dass der Mensch als soziales Wesen gesehen wird – die sozialen Aspekte spielen also eine sehr große Rolle. Es gib kein „Wir“ und „Die“ – alle sind gefährdet, psychisch zu erkranken, das ist ganz nah bei uns. Lebenskrisen, Armut, Isolation: All das kann krank machen, das wissen wir heute. Deswegen braucht es in der Gesellschaft, in den Stadtteilen, unterschiedliche und individuelle Angebote. Und Bremen hat sich ja aufgemacht, um in diesen Strukturen noch weiter zu gehen.

Sie meinen die Psychiatriereform, die aber doch eher stockt als voranzukommen?

Talk „Heilt Freiheit?“ über Menschenbilder in der Psychiatrie mit Katrin Lange, (Referat für Psychiatrie und Sucht bei der Gesundheitssenatorin) und Axel Kelm. 17 Uhr, Galerie im Park am Klinikum Ost

In der Tat dauert vieles sehr lang. Das hat mit zunehmender Ökonomisierung und wenig­ Fachpersonal zu tun und mit einem Generationenwechsel ­bei den Protagonisten, die das angestoßen haben.

Und gleichzeitig droht Räumen, wie dem Rückzugshaus in Walle, das Aus, weil die Finanzierung­ wackelt…

Ja. Auch der Hauptbahnhof beispielsweise: Dort fällt ein Sozialraum für Suchtkranke weg. Da müssen andere Möglichkeiten geschaffen werden, aber das ist nicht vernünftig koordiniert worden. An solchen Stellen hakt es leider oft. Und bei der Weiterentwicklung ist Bremen auch bereits von anderen überholt worden. Dennoch muss man sagen, dass Psychiatrie­ immer ein Thema in Bremen ist und dass hier wirklich viel und rege darüber debattiert wird – und das ist gut.

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