heute in bremen: „Mehr als 80 Prozent beten nicht mehr“
Mina Ahadi, 62, ist österreichisch-iranische Menschenrechtlerin und seit dem Jahr 2007 Vorsitzende des von ihr gegründeten „Zentralrats der Ex-Muslime“..
Interview: Benjamin Moldenhauer
taz: Frau Ahadi, in Deutschland scheint das Interesse an der feministischen Bewegung im Iran sehr gering. Woran liegt das?
Mina Ahadi: Es gibt ein bestimmtes Bild des Iran: Iran ist demnach ein islamisches Land, die Menschen dort sind angeblich ganz anders, haben eine andere Kultur, eine andere Mentalität. Das ist ein Problem. Ich komme aus dem Iran. Bevor das islamische Regime die Macht ergriffen hat, haben die Menschen dort anders gelebt. Frauen durften arbeiten und ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Wir haben das genossen. Natürlich war das eine Diktatur, wir durften uns nicht versammeln, es gab keine freie Meinungsäußerung. Aber die Ablösung des Schah-Regimes durch die Islamisten war ein Rückschlag. Deutsche Linke sehen das zumeist nicht.
Wie erklären Sie sich das?
Die Linken sind nach wie vor anti-imperialistisch und gegen die USA. Da gibt es schon auch Sympathien, denn das ist die iranische Regierung auch – nur sind die Machthaber nicht nur gegen die US-Kriege, sondern auch gegen die amerikanische Kultur und gegen die Meinungsfreiheit.
Was muss passieren, damit der Kampf der Frauen in den muslimischen Ländern für die Linke in Deutschland wieder ein Thema wird?
Die Menschen kämpfen gegen das islamische Regime. Arbeiter gehen gegen Ausbeutung auf die Straße, Mädchen gegen Unterdrückung. Es gab sehr viele Demonstrationen in der letzten Zeit. Die iranische Opposition ist im Ausland auch aktiv. Das Signal ist schon angekommen, wenn auch noch nicht bei vielen Linken.
Wie schätzen Sie die Chancen auf gesellschaftliche Veränderung im Iran ein?
Vortrag und Diskussion „Die Frauen- und ArbeiterInnen-bewegung im Iran“ mit Mina Ahadi: 19 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus
Der Iran ist kein islamisches Land, der Iran ist ein Land mit einer islamischen Regierung. Ein Großteil der Bevölkerung ist säkular. Seit 40 Jahren herrscht dort ein islamistisches Regime. Die Menschen wissen, dass ihr Leiden mit dem politischen Islam zu tun hat. Wenn Frauen im Gefängnis vergewaltigt werden, sagt der Vergewaltiger vorher „Allahu Akbar“. Aber gerade die jungen Menschen haben alle Handys, die haben Kontakt zu anderen Lebensweisen. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung beten nicht mehr.
Lässt es sich vermeiden, dass eine Kritik des Islams von der Rechten instrumentalisiert wird?
Wenn ich über Iran und Afghanistan rede, haben die Rechten kein Interesse. Wenn ich aber die deutschen islamischen Verbände kritisiere, sind sie sehr interessiert. Natürlich versuchen die Rechten, das zu instrumentalisieren. Die AfD hat unter anderem sehr viel gewonnen, weil es keine linke Kritik am Islam gibt, dafür aber viel Verharmlosung.
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