heute in bremen: „Ein großes, gescheitertes Experiment“
Ivan Kulnev
wurde 1985 in Woronesch geboren. Er studierte Geschichte an der Uni Potsdam. Die Kollagen sind Teil seiner Forschungen an der HU Berlin.
Interview Gareth Joswig
taz: Herr Kulnev, Sie sind Historiker und machen hauptsächlich Collagen. Wie passt das zusammen?
Ivan Kulnev: Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich arbeite mit Material aus Zeitungsarchiven, historischen Filmsequenzen sowie Fotos und mache daraus historische Collagen. Jedes Versatzstück eines Bildes beinhaltet auch theoretische Vorstellungen über Geschichte. Ich wollte es nicht zu akademisch machen: Kunst und Forschung bieten zusammen tolle Möglichkeiten.
Warum beschäftigen Sie sich mit der Sowjetunion?
Als ich zum Studieren nach Deutschland kam, war ich überrascht von der Aufarbeitung der NS-Zeit hierzulande. Der Prozess war schmerzhaft und lang, hat aber stattgefunden. Das wäre auch in Russland nötig: ohne Aufklärung kein demokratisches Bewusstsein.
Wie ist das Bild der Sowjetunion im heutigen Russland?
Kommt darauf an, wen Sie fragen. Es gibt Hasser, Romantisierer und Verherrlicher. Es fehlt eine kritische Aufarbeitung. Das ist nicht nur in Russland so, sondern typisch für osteuropäische Staaten. In Deutschland herrscht ein Konsens über die NS-Zeit. Natürlich gibt es neue Nazis, die das angreifen, aber der Konsens existiert ungebrochen. In der BRD kann man nicht mit einem Bild von Hitler durch die Straßen laufen. In Russland aber tragen Leute Stalin-Bilder durch die Gegend.
Wenn Sie das Bewusstsein in Russland verändern wollen, warum stellen Sie dann in Deutschland aus?
Ausstellung „Das sowjetische Experiment“, Führung mit Ivan Kulnev Swissôtel, Hillmannplatz 20, 19 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 2. August
Es wäre natürlich logischer, das in Russland zu machen. Aber die Geschichte des Kommunismus ist hierzulande auch nicht so gut aufgearbeitet wie die NS-Vergangenheit. Ich will die DDR-Vergangenheit nicht gleichsetzen, aber meine Kommilitonen an der Uni sprachen teilweise begeistert über Trotzki, sodass ich mich schon fragte, wie das eigentlich angehen kann. Seine Äußerungen waren nicht unbedingt gut, nur weil er auf barbarische Weise von Stalin umgebracht wurde.
Ihre Ausstellung heißt „das sowjetische Experiment“. Hätte das Experiment unter anderen Bedingungen auch klappen können?
Nein. Der Versuch, einen neuen Menschen zu schmieden, den homo sovieticus, musste scheitern. Es funktioniert nicht, mit staatlicher Gewalt die menschliche Natur zu verändern. Die Sowjetunion war ein großes gescheitertes Experiment – es war eine Katastrophe.
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