heute in bremen: „Alltägliche Anspannung“
Harald Piotrowski, Jahrgang 1955, wohnt seit über 30 Jahren in Barcelona. Er hat in Bremen Romanistik studiert und arbeitet als Romanist und Deutschlehrer in Barcelona.
Interview Gareth Joswig
taz: Herr Piotrowski, Sie leben seit über 30 Jahren in Barcelona. Wie halten Sie es mit Separatismus: Sí o no?
Harald Piotrowski: Ich bin kein Freund von Separatismus, wie er sich gerade in Katalonien darstellt. Obwohl das Wort natürlich hierzulande aus der Franco-Zeit vorbelastet ist: Laut der franquistischen Ideologie spaltete sich da etwas ab, was zusammen gehört. Aber mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung in Spanien kann ich dennoch wenig anfangen.
Warum?
Eine Abspaltung zu erzwingen, reißt innergesellschaftliche Gräben auf. Das verschärft die Lebenssituation der Leute. Es ist gefährlich, Leute nach Nationalität zu sortieren. Und es bringt jede Menge Probleme im Alltag mit sich: Das reicht von Mobbing auf der Arbeit bis zu Rissen in Freundschaften und Familien.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Wenn man in Barcelona durch die Straßen geht, sieht man wenig von der Spaltung der Gesellschaft in Befürworter und Gegner des Nationalismus. Wenn man sich etwa als Lehrkraft gegen die Unabhängigkeit positioniert, kann man Probleme bekommen. Leute aus meinem Umfeld hatten tatsächlich Probleme. Angeblich sind in Barcelona und Umgebung auch psychologischen Beratungen in die Höhe gegangen, Antidepressiva häufiger verschrieben worden als sonst, aber das kann auch Propaganda sein. Wenn man sich mit Freunden unterhält, merkt man im Alltag jedenfalls eine Anspannung. Zumal man oft aufgefordert wird, sich in dieser Frage zu positionieren. Das ist nicht schön. Und was soll die Unabhängigkeit denn bringen?
Noch mehr Reichtum für die Region Katalonien und weniger für den armen Süden?
Podiumsdiskussion: „Der katalanische Unabhänigkeitsprozess – ein Weg in die Sackgasse?“, Kommunikationszentrum Paradox, Bernhardstraße 12
Ich glaube, es geht eher um nationales Selbstwertgefühl. Aber natürlich gibt es schon lange den Slogan: „Madrid raubt uns aus!“ Von der nationalistischen Partei Puigdemonts hört man ja schon länger den Tenor: „Wir sind die Produktiven, wenn die da im Süden nichts hinbekommen, geht uns das doch nichts an.“ Das ist durchaus Konsens im katalanischen Bürgertum. Es befürchtet zudem, dass man mit Madrid den Anschluss an die modernen Zeiten verliert – die Konservativen träumen von einem katalanischen Kalifornien mit digitaler Ökonomie.
Warum machen auch linke Katalanen da mit?
In Spanien gibt es eine große Tradition, das Thema Nation links zu besetzen. Natürlich heißt es bei den linken Befürwortern, dass zunächst die Unabhängigkeit erforderlich wäre, um ein solidarisches Katalonien zu schaffen. Es gibt ja auch Leute, die hierzulande die Nation links interpretieren wollen. Gerade deswegen bin ich gespannt auf die Debatte heute Abend.
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