heute in bremen: „Gefährder sind ein politisches Konstrukt“
taz: Frau Graebsch, wann wird ein Mensch als Gefährder bezeichnet?
Christine Graebsch: Ein Mensch, der als „Gefährder“ bezeichnet wird, muss niemanden gefährden. Es reicht zum Beispiel aus, wenn eine vage Vermutung über Bezüge zum sogenannten „Islamischen Staat“ besteht. Zuletzt wurde der Begriff „Gefährder“ einfach auf Menschen angewendet, die sich in Abschiebungshaft befinden. Daran erkennt man, wie ungenau dieser Begriff ist.
Wie genau wird bei einer Abschiebung von sogenannten „Gefährdern“ vorgegangen?
Die Abschiebung läuft im Schnellverfahren. Aufgrund eines polizeilichen Verdachts kann der Innensenator eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Verdachtsmomente werden zuvor nicht von einem Gericht überprüft. Häufig werden die Menschen dann sofort in Abschiebungshaft genommen. Sie haben daraufhin sieben Tage Zeit, zum Bundesverwaltungsgericht zu gehen. Dies ist die einzige gerichtliche Instanz, die über den Fall entscheidet.
Welche Bedenken haben Sie bei einem solchen Verfahren?
Die Abschiebung beruht auf einer bloßen Prognose, die auf Vermutungen und Unterstellungen basiert. Es gibt nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich gegen den Verdacht in einem Strafverfahren zu verteidigen. Findet die Abschiebung auf Grundlage des Verdachts statt, wird das Strafverfahren einfach eingestellt.
Wie sollte Ihrer Meinung nach stattdessen mit „Gefährdern“ umgegangen werden?
Vortrag von Christine Graebsch „Durch Prognose in die Abschiebung“ und Diskussion, 19 Uhr, Wallsaal der Stadtbibliothek
Dafür braucht es kein neues Konzept. Es muss hier, wie bei jedem Menschen, garantiert sein, dass keine schwerwiegenden Eingriffe in Rechte auf Grundlage von Vermutungen vorgenommen werden. „Gefährder“ sind ein politisches Konstrukt, mit der der Staat sich erlaubt, Menschen abzuschieben, selbst wenn sie hier verwurzelt sind, eine Aufenthaltserlaubnis haben und noch niemals strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Es ist ein Schritt in eine Precrime-Logik, wie sie aus „Minority Report“ bekannt ist.
Interview: Paula Högermeyer
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