heute in Bremen: „Eine latente Negation“
Vortrag Elke Steinhöfel berichtet über ein Verbrechen aus Bremens Nazivergangenheit
Juristin, Politikerin (SPD) 1987–99 Bürgerschaftsabgeordnete, bis 2005 Regierungsdirektorin der Sozialverwaltung.
taz: Frau Steinhöfel, der Titel „Die Wohnung als Gefängnis“ lässt viele Assoziationen offen. Wovon handelt Ihr Vortrag?
Elke Steinhöfel: Es geht darum, was das NS-Regime in Bremen mit den sogenannten „Asozialen“ gemacht hat. Die Verantwortlichen fragten damals bei den Ämtern nach, wo es in Bremen „asoziale Großfamilien“ gab. Damit waren Menschen gemeint, die zum Beispiel nicht arbeiteten oder politisch eher links waren. Im Jahre 1935 wurde dann in Woltmershausen eine Zwangsanstalt eröffnet, in welche die Aktenkundigen mit ihrer Familie einziehen mussten.
Haben die Menschen damals „wie im Gefängnis“ gelebt?
Die „Asozialen“ lebten in kleinen Appartements von maximal 54 Quadratmetern. Dabei teilten sie sich die enge Wohnung manchmal mit bis zu zwölf anderen Menschen. Es gab eine Wächter-Kabine und Fürsorgerinnen, wo durch die Bewohnerinnen und Bewohner von morgens bis abends überwacht wurden. Über den Tag hatten die „Asozialen“ zwar Freigang und konnten arbeiten gehen, aber danach mussten sie direkt wieder zurück in die Anstalt kommen.
Wie kamen Sie dazu, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?
Ich habe viel in der Sozialpolitik gearbeitet und bei einer Veranstaltung eine Frau getroffen, die mir erzählte, dass sie in einer solcher Zwangseinrichtung leben müsste. Allerdings würde nie über das Thema berichtet werden. Mich interessierte das Leben in einer Zwangsanstalt und ich schlug meinem damaligen Professor vor, eine Dissertation darüber zu schreiben.
Warum ist es wichtig sich mit der Bremer Nazivergangenheit auseinanderzusetzen?
In Bremen gibt es eine latente Negation von den Naziverbrechen. Viele Menschen behaupten, dass es so etwas in Bremen überhaupt nicht gab – das muss sich ändern. Auch ist die latente Unmenschlichkeit bis heute immer noch da, wenn Begrifflichkeiten wie „Asoziale“ heute noch gebraucht werden. Der sprachliche und faktische Umgang mit Menschen, die nicht zur Mittelschicht gehören, muss sich ändern.
Interview Paulina Hemesath
Vortrag „Die Wohnung als Gefängnis“: 17 Uhr, AMEB Begegnungsstätte Woltmershausen.
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