heute in Bremen: „Diagnosen als Waffe“
Demo Am Protesttag gegen Diskriminierung Behinderter nehmen Psychiatriekritiker teil
ist als Sprecher der „Psychiatriekritischen Gruppe“ vor Gericht und in der Klinik aktiv.
taz: Herr Ost, die Psychiatriekritische Gruppe demonstriert morgen erstmals auf dem „Protesttag gegen Diskriminierung behinderter Menschen“ mit. Sind seelische Krisen wirklich Behinderungen?
Bernd Ost: Man wird durch die Gesellschaft behindert, wenn man sie hat, ja. Behinderung ist ja ohnehin eine Zuschreibung, da unterscheiden sich körperliche und psychische Diagnose gar nicht so sehr voneinander. Uns war wichtig, Psychiatriekritik dort zu positionieren.
Und umgekehrt: Wie sind Sie aufgenommen worden?
Die erste Reaktion auf unsere Vorstellung war positiv, später kam dann aber doch etwas Nervosität auf. Das ließ sich auf dem Plenum aber klären.
Was hat die nervös gemacht?
Wahrscheinlich unsere StellvertreterInnenposition. Der Protesttag soll ja die Betroffenen zu Wort kommen lassen und wir definieren uns eben auch als politische Akteure, weil der Betroffenenstempel gefährlich ist. Außerdem gehört unsere Position schon eher zu den radikaleren.
Der Protesttag findet ja bundesweit statt. Was sind hier in Bremen die wichtigsten Konfliktfelder?
Aus psychiatriekritischer Sicht die bundesweit höchste Zahl an Zwangseinweisungen. Daran hängen auch die Forensik und die Justiz, die hier eng verbandelt sind und das auch selbstbewusst als Bremer System vertreten. Das ist aber natürlich ein Sonderfall der Psychiatrie. Für die anderen beteiligten Initiativen ist vor allem der Wohnraummangel relevant. Den gibt es in Bremen zwar grundsätzlich, für Menschen mit Behinderung ist die Situation aber noch bedeutend schlimmer.
Sie haben in den vergangenen Monaten sehr viel Aufmerksamkeit mit Ihrer politischen Arbeit erregt. Gerade zum drohenden Scheitern der Psychiatriereform waren Sie auch medial sehr präsent. Hilft das bei der politischen Arbeit?
An unserer Fahrradrikscha auf der Demo hängen heute tatsächliche viele Zeitungsartikel. Wir haben auch mit dem Senat gesprochen, sind vor Gericht gehört worden. Wirklich gebracht hat das aber nichts. Im Gegenteil erhöht sich der Druck und Diagnosen werden als Waffe benutzt: „Wahnhaft“ sollen wir sein, also unglaubwürdig.
Interview Jan-Paul Koopmann
Demonstration gegen Diskriminierung und für Gleichstellung behinderter Menschen: 12 Uhr, Hauptbahnhof
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