hertha-countdown: Noch fünf Tage
Professionelles Einkaufen
Gute Unternehmen, so heißt es, verfügen über eine Corporate Identity. Der wirtschaftliche Gemeinsinn bei Hertha BSC gründet auf folgendem Leitmotiv, das Dieter Hoeneß, der Manager, eingebracht hat: Stillstand bedeutet Rückschritt.
Dieser Formel fühlen sich mehr und mehr die Mitarbeiter, Spieler und derAufsichtsrat verpflichtet – ja sogar simple Maschinen scheinen das Motto des Erfolgs verstanden zu haben. Kaum eine Minute verging in der letzten Zeit, in der das Faxgerät der Berliner nicht grummelte und in der Geschäftsstelle laufende Meter Papier aus dem Innern des Apparats spuckte. Es stand einfach nicht still.
Ein Großteil der übermittelten Daten wurde von Spielervermittlern und Beratern in die Hauptstadt gesandt. Ihr Ansinnen: Klienten, vulgo: Fußballer an den Mann bringen. Lukrative Verträge schließen. Provision oder Handgeld kassieren. Und den Deal mit fetter Rendite machen.
Stapelweise wurden Exposés durch die Leitung gepresst, Biografien, Referenzen und Kopien von Spielerpässen, ja sogar Gehaltswünsche. Zwischen 600 und 700 Bewerbungen sind bei Hertha im Lauf der Saison eingegangen. So genau kann das keiner mehr sagen.
Die meisten wandern in den Papierkorb, ein Bruchteil wird in Ordnern archiviert. „Es gibt Tage, da hast du das Gefühl, da liegt jedes Mal ein Maradona auf dem Fax. Beidfüßig. Athletisch. Superschnell. Alles Schrott“, sagt Hoeneß.
Hertha macht keine Türgeschäfte, Hertha kauft professionell ein. Und davor wird gesichtet. Chef der Abteilung Scouting ist Rudi Wojtowicz. Früher war der 44-Jährige mal Trainer von Fortuna Düsseldorf, heute wühlt sich der oberste Observator durch Berge von Videos, deren Herkunft er mittlerweile schon an derHintergrundmusik erkennt.
Herthas Späher suchen akribisch nach dem passenden Kicker. Monatelang wird geforscht, mitunter verdeckt gefilmt, versucht, mit dem Verein weit vor Vertragsabschluss in Kontakt zu treten. Hoeneß sagt: „Heute versuchst du teilweise, einen Transfer zwölf Monate vorher perfekt zu machen.“ Streng genommen erlaubt der Deutsche Fußball-Bund nur eine Frist von einem halben Jahr, halte man die aber ein, sei man schnell „der Depp“, so Hoeneß.
Also versucht man der Konkurrenz voraus zu sein. Wojtowicz handelt gemäß seines Credos: Schnell sein, denn die Großen fressen die Kleinen. Und er ist schnell, wie man zum Beispiel am Wechsel von Stefan Beinlich sehen kann. Das Faxgerät, es versieht im Grunde einen sinnlosen Dienst. Kontrakte werden auf ganz anderen Wegen angebahnt.
Dennoch sagt jeder Faxmeter etwas aus über die wachsende Bedeutung des Vereins. Deswegen darf das Gerät munter rattern. Und laut Hoeneß sollte ja lieber nichts still stehen. Das würde den Fortschritt gefährden. Wer will das schon?
MARKUS VÖLKER
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