hertha-countdown: Noch drei Tage
Ostsee-Maradona
Dieter Hoeneß lockt listig Spieler nach Berlin. Das geht so: Er macht mit ihnen eine ausgedehnte Stadtrundfahrt, zeigt ihnen die vielen Baustellen, das neue Regierungsviertel und auch die grünen und heimeligen Plätze der Hauptstadt.
Er versucht, Vertrauen zu schaffen und die Angst vor dem Großstadtmoloch zu nehmen. Bei Sebastian Deisler hat das klasse funktioniert, bei Stefan Beinlich wäre die Sightseeingtour fehl am Platz gewesen. Denn Beinlich ist in Berlin geboren und findet ohne fremde Hilfe zum Olympiastadion. Der 28-Jährige ist wieder an den Ausgangsort seiner Europa-Tournee zurückgekehrt. Mit seiner Familie hat er sich eine Wohnung in Spandau eingerichtet. Da ist es nicht weit zum Training.
Beinlich hat viel vor. Er möchte mit Hertha Deutscher Meister werden. „Ich sehe in Berlin die besten sportlichen Perspektiven“, sagt er. „Hier wächst etwas heran.“ Und weil das Wachstum der Blau-Weißen bereits Blüten treibt, hat Beinlich verlockende Angebote von Schalke 04 und den Bayern aus München, ja sogar eine Offerte seines Exarbeitgebers Bayer Leverkusen abgelehnt, die ihm doppeltes Gehalt versprach. Beinlich sagt: „Wenn ich wegen des Geldes gewechselt wäre, hätte ich ein anderes Angebot annehmen müssen, das kurz vor Unterzeichnung noch reinkam.“ Von den Bayern. Die haben ihm danach vorgeworfen, er hätte Angst, in der besten Mannschaft Deutschlands zu bestehen.
Er und Angst. Wo er sich doch nur vor einer schweren Verletzung fürchtet. Wie im Sommer des vergangenen Jahres, als die Ärzte einen schweren Knorpelschaden im Knie diagnostizierten. Am Rande der Sportinvalidität kämpfte sich Beinlich wieder heran. Extrainer Christoph Daum sagte nach dem gelungenen Comeback, er spiele nun wieder „fast brasilianisch“. Das wird auch Dariusz Wosz angedichtet. Kommt es deswegen zu Kollisionen im Mittelfeld? Nein, sagt Linksfuß Beinlich: „Dariusz ist ein guter Dribbler. Ich bin mehr ein Torschütze und Passgeber. Ich spiele mehr links, er hinter den Spitzen.“
Sollten die beiden harmonieren, verfügt Hertha wohl über das stärkste Mittelfeld der Liga. Am Samstag treffen Beinlich und Wosz auf ähnlich starke kreative Spieler: die Bayern Effenberg und Scholl. Obwohl Beinlich mit einer Entzündung im linken Knöchel zu kämpfen hat, will er seine Saisonbilanz weiter verbessern.
Wieder zu Hause. Das Fußballspielen hat er beim BFC Dynamo gelernt. Nach dem Mauerfall kickte er beim Pankower Klub Bergmann Borsig. 1991 dann der Wechsel zu Aston Villa auf die Insel. Drei Jahre trieb er den Ball, meist mit dem Reserveteam, über Nebenplätze. „In England habe ich gelernt zu kämpfen“, so Beinlich. In der ersten Mannschaft spielte „Paule“, wie sie ihn nennen, nur 16-mal. Der Transfer zu Zweitligist Hansa Rostock war eine kleine Erlösung. An der Ostsee vervollkommnete Beinlich seine technischen Fähigkeiten. „Ostsee-Maradona“, schrieben manche Zeitungen.
Bis ins Jahr 2003 läuft sein Vertrag in Berlin. Jahresgehalt: 4,5 Millionen. Noch hat man sich in der Metropole nicht auf einen Beinamen geeinigt. Nach den ersten gelungenen Spielen wird man wissen, ob Maradona nun an der Spree oder der Havel kickt. Oder an beiden Flüssen.
MARKUS VÖLKER
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