herr tietz macht einen weiten einwurf : Ein Zipperdilderich auf Reisen
FRITZ TIETZ macht sich Gedanken: Was treibt den Flitzer nur auf den Fußballrasen? Und warum macht er sich dabei gerne nackig?
Bisher in keiner WM-Nachlese erwähnt, wird es allmählich mal Zeit, darauf hinzuweisen: Es gab nur eine einzige Flitzerattacke bei dem sonst so superlativen Fifa-Turnier. Noch beim Confederations-Cup ein Jahr zuvor hatten es vier Flitzer in die Chroniken geschafft. Damit behält ausgerechnet dieses eher unbedeutende Turnier den Rang des meistbeflitzten der Fußballgeschichte.
Flitzer heißen die unerbetenen Sportplatzstürmer übrigens, weil sie, so sie nicht alsbald wieder eingefangen werden wollen, vor den Sicherheitskräften wegflitzen müssen. Tatsächlich legen manche Flitzer ein beeindruckend hohes Tempo vor und wissen sich oft sehr geschickt durch gewiefte Körpertäuschungen dem allzu schnellen Zugriff zu entziehen. Dem Liverpooler Mark Roberts, der im November 2005 bei der schmählichen 0:3-Heimschlappe Real Madrids gegen Barcelona durchs Bernabéu-Stadion flitzte, bescheinigte anschließend die spanische Presse, dass er schneller gelaufen sei als alle Realmillionäre während des Spiels. Anders als seine Confed-Cup-Kollegen war Roberts übrigens nackt, wie sich das aber auch ziemt für einen Streaker, so man in England die nackte Flitzerversion nennt. Bekleidete Flitzer heißt man dort Prankster.
Erfunden haben soll das Streaking der Australier Michael O’Brien, als er 1974 während eines Rugbyspiel nackt durch das Stadion im englischen Twickenham flitzte. Erster weiblicher Streaker war eine Erica Roe – manche Quellen behaupten auch, ihr Nachname sei Rowe. Egal. 1982 war es wiederum das Twickenham Stadium, das die damals 24-Jährige während eines Rugbyspiels nackt beflitzte. Das Foto von dem Bobby, der Roes Blöße mit seinem Helm zu verdecken suchte, ging seinerzeit um die, von ihrer famosen Oberweite durchaus entzückte Welt.
Spätestens mit Ericas Nacktlauf begann sich das Flitzertum im internationalen Sport zu etablieren. Vor allem Fußballspiele wurden und werden seither immer mal wieder von mehr oder weniger bekleideten Menschen beflitzt. Allen voran oben erwähnter Mark Roberts. „The only true international streaker“, als der sich der 41-Jährige auf seiner Website bezeichnet, flitzte seit 1993 über zahllose Grounds, dabei häufig mit nichts als mit einer Botschaft bekleidet, die er sich vorher wasserfest auf den Rücken pinnen ließ: „Galactic Ass!“ stand da zum Beispiel einmal pöterwärts geschrieben, und das musste es auch. Ohne den Hinweis wäre man bei Roberts wenig inspirierendem Hintern nicht drauf gekommen. Etwas ansehnlicher gebaut ist Roberts deutsches Pendant Ernst-Wilhelm Wittig. Ernie, wie ihn alle nennen, zeigt seinen Klassepo nicht nur bei gut besuchten Fußballspielen. Er läuft auch sonst überwiegend nackig herum.
Streaker wie Roberts oder Wittig legen den Verdacht nahe, dass das Flitzertum vorrangig einer sexuell-exhibitionistischen Veranlagung entspringt. Allerdings scheint dieser Erklärungsansatz zu kurz geraten – schon wegen der vielen bekleideten oder sogar verkleideten Flitzer. Regina Höfner zum Beispiel. Ihr Flitz anno 2004 beim Pokalspiel Bayern gegen Stuttgart in einem Dalmatinerkostüm hatte einen kommerziellen Hintergrund. Sie warb für ein Hundefutter. Auch der Confed-Cup-Flitzer beim Spiel Deutschland–Tunesien tat es aus schnödem finanziellen Interesse. Er strich 50 Euro ein. So war seine Wette dotiert, wonach ihm allerdings außer der Platzrunde auch gelingen musste, Torwart Lehmann „Ich liebe dich!“ ins Ohr zu flüstern.
Mark Roberts bietet noch einen anderen Beweggrund – insbesondere für das Nacktflitzertum – an. Sein Bernabéu-Streak habe an einem „half-inch-and-a-dozen-wrinkles-evening“ stattgefunden, so berichtete er hinterher. Zumindest als Mann, der sich schon mal klein und runzlig gefroren hat, versteht man diesen Hinweis sofort: Es war bitterkalt an diesem Abend. Somit will der Nacktflitzer mit der Zurschaustellung seines mal mehr, mal weniger stattlichen Zipperdilderichs anscheinend nur das: uns Fernsehzuschauer daheim anschaulich über die so genannten äußeren Bedingungen im Stadion informieren.
Fotohinweis: Fritz Tietz ist 47 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.