piwik no script img

herr hefele kriegt zwei minutenALBERT HEFELE über Rilke, Waldi und den BVB

Irgendwas ist zerbrochen in mir

So erschrocken, wie sie nie erschraken, ohne Ordnung, oft durchlocht und locker, hocken sie auf dem geborstnen Ocker ihres Ackers . . .

Nein, ich stehe nicht unter Drogen und bin auch sonst nicht von Sinnen, und zur Abgabe von Haarproben bin ich schon gar nicht bereit. Die Zeilen, die ich dieser Kolumne vorangestellt habe, sind – im Zeitalter der Schnupfer und Spritzer und Schlucker – eben nicht die Früchte bewusstseinserweiternder Säfte und Pülverchen. Diese Zeilen sind das Ergebnis gewaltiger, aus sich heraus dampfender und sprühender großer Dichtkunst, meine Lieben. Ich weiß, dass ihr euch damit nicht auskennt, stumpfe Fußballkonsumenten und damit holzschnittartige Charaktere, die ihr seid, allesamt. Ich kenn mich damit aus! Ich bin ein Feingeist, feinnervig, ziseliert wie eine spanische Silberarbeit. Ulla – du weißt, dass ich so bin! Ulla ist diese, mir sklavisch ergebene . . . ja, ist ja gut – lassen wir das.

Und obwohl ich sehr genau weiß, dass meine Bemühungen, euch zu besseren, großherzigen, weltoffenen Menschen zu machen – Menschen, die mehr interessiert als der aktuelle Bierpreis im Stadion –, nichts fruchten werden: „So erschrok- ken, wie sie nie erschraken . . .“, das ist Rilke! Merkt euch das, damit könnt ihr am Stammtische prunken: „Wenn ich das Spiel dieser Dortmunder gegen die Bayern so sehe, da fallen mir spontan einige Zeilen vom guten alten Rilke ein . . .“ zum Beispiel. Da werden sie staunen am Stammtisch. So sie je etwas von Rilke gehört haben.

So sie aber von Rilke gehört haben, werden sie wohl einer dieser unerträglichen Intellektuellen-Bierrunden angehören, die sich trotzdem „nicht zu schade ist, über Fußball zu reflektieren . . .“. Solche würden bei Nennung des Namens Rilke unter Garantie in den Chor ausbrechen: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält . . .“ Dann dürfen Sie gelangweilt abwinken und jene der Tölpelhaftigkeit zeihen, denn über den „Panther“ verlieren echte Rilke-Kenner schon seit langem kein Wort mehr. „Ohne Ordnung, oft durchlocht und locker . . .“ dagegen, das ist neu und frisch und zeitgemäß und hat was.

Die Tragödie macht es deswegen nicht kleiner. Keine noch so virtuos torkelnde Rilke-Zeile kann dieser Tage einen echten BVB-Fan aufrichten. Zwei zu sechs gegen das perfide Bavaria. Irgendwas ist zerbrochen in mir. Ein Mythos, ein Glaube an den letztendlich sich einstellenden Sieg des Guten. Gelb-Schwarzen. Mit Sammer, dachte ich, kommt der Mythos zu Borussia Dortmund zurück. Aber auch Sammer tat fehl. Tat Falsches. Anstatt die Sportkameraden Lehmann und Ricken in die Wüste zu schicken, holte er sich noch den Sportkameraden Heinrich dazu. Wie kann man sich sehenden Auges Jörg Heinrich in die Mannschaft holen? Außer zu seiner Freiburger Zeit habe ich nie ein bemerkenswertes Spiel von diesem Menschen gesehen. Dass so einer immer wieder Mannschaften aus den besten Ligen findet, wird für mich eines der ewigen Rätsel bleiben.

Ebenso rätselhaft wie die Wahl Waldemar Hartmanns zum beliebtesten Sportmoderator (oder war das ein Fiebertraum?). Falls ihn aber irgendwer anlässlich irgendeiner Wahl gewählt hat: Seid ihr denn alle mit Blindheit geschlagen? Ihr, die ihr die Berichterstattung verfolgt? Seht ihr denn nicht, dass dieser Mensch ein Ausbund an Hinterfotzigkeit ist? Wenn der mit seiner „Ich bin der grundehrliche Hartmann“-Masche durchkommt, dann ist alles möglich. Dann können Hitler und Mengele noch immer in Paraguay auf ihrer Farm sitzen bzw. die Borussen 2:6 gegen Bayern verlieren.

Fotohinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt über die fundamentalen Dinge des sportlichen Lebens

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen