herr hefele kriegt zwei minuten: ALBERT HEFELE über schnelle und träge Systeme
Elber und der Beinschuss
Fragen Sie mich bitte nicht, ob dies die allgemeine oder die spezielle Relativitätstheorie ist. Besser: die Ergänzung zur allgemeinen oder speziellen Relativitätstheorie. Beide sind nämlich schon vor längerer Zeit von einem anderen Albert ausgebrütet worden. Also, es geht los. Sie und eine Fliege. Versetzen Sie sich bitte in die Lage der Fliege. Die Fliege ist sehr schnell, ständig in Bewegung. Surrt hierhin und dorthin und denkt: „Der – also Sie – ist unglaublich langsam. Unglaublich träge ...“ Doch, doch, das ist so. Weil die Fliege so unglaublich schnell ist, empfindet sie unsereins als ebenso unglaublich langsam. Logisch. Dazu muss man verstehen, dass die Fliege sich selbst nicht als unglaublich schnell empfindet. Die Fliege findet, dass sie sich in völlig normalen Bewegungsabläufen ergeht. Nur – wir sind im Vergleich dazu träge. Andersherum ergeht es uns mit der Schildkröte. Dafür empfindet uns die Schildkröte als flink und hektisch. Punkt.
So ist das Denkmodell. Bewegte Systeme empfinden andere, sich nicht genauso schnell bewegende Systeme als r e l a t i v schnell oder langsam. Je schneller sich System A bewegt, desto langsamer findet es, geht es auf System B zu. Heißt logisch gefolgert: Ein System, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, nimmt andere, langsamere Systeme als äußerst träge, bzw. stillstehend wahr. Da es keinen absoluten Stillstand geben kann, müsste ein System, das sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegt, eine zeitliche Rückwärtsbewegung anderer Systeme registrieren. Beispiel: für eine mit Überlichtgeschwindigkeit umhersurrende Fliege würden Sie den Arm mit der Fliegenklatsche von ihr weg bewegen. Glauben Sie es mir, es wäre so. Wenn Sie in der Lage wären, eine sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegende Fliege zu erkennen und mit der Fliegenklatsche zu verfolgen. Dazu müssten Sie selbst sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit bewegen, und wer kann das schon ...? Gucken Sie nicht so misstrauisch. Es ist alles in bester Ordnung, Sie sind immer noch bei den „Leibesübungen“. Sie wohnen lediglich dem Versuch bei, eine der zentralen, wenn nicht d i e zentrale Frage des Sportes zu lösen. Die Frage lautet: „Warum sind manche Sportler erfolgreicher als andere?“ Unser heutiges Thema ist: „Warum sind manche Fußballer erfolgreicher als andere?“ Und die Antwort heißt, ganz einfach: „Weil sie schneller sind als andere.“
Beispiel und aktueller Anlass, diese Frage wiederum zu erörtern, ist ohne Zweifel der Beinschuss des Bayern-Stürmers Elber gegen den Wolfsburger Torhüter Reitmaier. Als Beobachter fragt man sich wieder und wieder: „Ist das Glück oder ist das Können?“ Aus Sicht meiner langjährigen Forschertätigkeit würde ich nun sagen, wenn einer einen solchen Beinschuss einmal in fünf Jahren tut, ist es Glück. Der Spieler Elber aber hat diese und ähnliche Kabinettstückchen des öfteren gezeigt und von Glück kann deswegen wohl nicht mehr die Rede sein.
Wie geht das? Warum können das andere, die – wohlgemerkt – den Ball ebenso gut kontrollieren können, nie oder nur ganz, ganz selten. Antwort: Sie sind zu langsam. Besser: Ihre Systeme sind zu langsam. Wenn zwei psychisch ungefähr gleich belastbare und mit ähnlichen körperlichen Möglichkeiten ausgestattete Spieler die optimale Auflösung schwieriger Aktionen in signifikant unterschiedlicher Häufigkeit abliefern, dann hat das mit ihrer Schnelligkeit zu tun. Im konkreten, vorliegenden Fall: das schnellere System Elber hatte einfach mehr Zeit, um die Situation zu beobachten und zu beurteilen, als das trägere System Reitmaier. Mehr Muße, das Problem zu identifizieren und sich für die ideale Lösungsvariante zu entscheiden. Das sind natürlich in der Regel nur Nuancen, weil die Systeme sich nicht abrupt unterscheiden. Aber es sind die entscheidenden Nuancen, wenn es darum geht, Weltklasse zu sein, oder nicht.
Warum Alexander Zickler dann noch kein Weltklassespieler ist? Weil er so schnell ist, dass er vor dem Tor nicht weiß, für welche der vielen Lösungsmöglichkeiten er sich entscheiden soll. Auch das gibt es, wirklich! Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Dazu bin ich ja da.
Autorenhinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt über fundamentale Dinge des Lebens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen