: helmut högeDas Glück des Misslingens
■ NormalzeitDer Club der polnischen Versager fragt nach der Schöpfung; und das nach eigenem Willen auf niedrigem Niveau
Es gibt sieben Wörter im Polnischen für Versager, zwei von ihnen beinhalten, je nach Betonung, auch den erfolgreichen Karrieristen. Neben dem Kaffee Burger, das zum Konglomerat aus Wendeverlierern um den Basisdruckverlag und der Kneipe Torpedokäfer gehört, hat sich inzwischen nicht nur ein russischer Plattenladen angesiedelt, der kundenmäßig von Wladimir Kaminers Russendisko zehrt, sondern auch der „Club der polnischen Versager“, in dem eine herausragende Mischung aus privat und öffentlich gepflegt wird – laut eigener Einschätzung: „halbliter’arisch & unkultiviert“.
Dazu gehört in der Torstraße neben einer sehr kleinen, dafür aber gleich mit drei Frauen armierten Theke auch ein schmaler Galerieraum, in dem zurzeit Dias von belgischen Brandmauern sowie oberschlesischen Industrielandschaften im Smognebel gezeigt werden. Außerdem wird dort von Fall zu Fall das offizielle Vereinsorgan Kolano erstellt.
Der Titel „Knie“ erinnert an das Gedicht „Ein Knie geht einsam durch die Welt / es ist ein Knie – sonst nichts“, könnte aber auch eine Anspielung auf die frühere Angewohnheit Westberliner und amerikanischer Künstler in Warschau sein, die – dort von Funktionären in Dom Kulturys eingeladen und plötzlich ganz allein gelassen – betrunken durch die Säle irrten, und „Wodka or your Knee-Caps!“ riefen.
In der letzten (Dezember-) Ausgabe des Kolano-Knies wird das Problem der „Trottel, Tölpel, Pechvögel und Schlappschwänze“ in einer philosophischen Typologie als „polnische Frage“ abgehandelt. Gleich daneben finden sich einige Passagen aus der Vereinssatzung. In einem Paragrafen heißt es, dass die Mitglieder des Versager-Clubs „geneigt sind“, den Vorrang der „Menschen des Erfolgs“ zwar anzuerkennen, „dennoch wollen wir Schöpfer bleiben, und zwar nach unseren Möglichkeiten, auf einem niedrigeren Niveau“.
Dazu hat gerade auch der Leiter der Filmabteilung des polnischen Kulturinstituts, Kornel Miglus, einige Dokumentarfilme junger polnischer Regisseure gezeigt, die teilweise in Berlin leben. In dem preisgekrönten Film „So einen schönen Sohn habe ich geboren“ von Marcin Kszalka geht es darum, dass seine Mutter ihn – den nichtsnutzigen Filmstudenten – ununterbrochen beschimpft, weil er sie mit der Kamera durch die ganze Wohnung verfolgt.
In dem ebenfalls bereits ausgezeichneten Film „Ich bin böse“ hat der Regisseur Grzegorz Pacek die Filmkamera einigen Straßenjungs im Warschauer Vorort Praga gegeben, woraus dann laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung ein Porträt der postkommunistischen Lost Generation entstand. Der kurze Film von Mariusz Ziubryniewicz, „Zielona Gora 36“, führt das ganze Theater um die EU-Erweiterung ab adsurdum, indem er das gelangweilte Geschehen um ein gleichnamiges Kilometerschild in einem beliebigen Durchgangsort bloß böse beobachtet.
Hier wie dort – das heißt an der Filmhochschule von Lodz und im Club der polnischen Versager zu Berlin – setzt man bei seiner zersetzenden Tätigkeit natürlich auf den Schriftsteller Witold Gombrowicz, der im argentinischen Buenos Aires im Exil lebte, wo ihm unter anderem die Allüren von Jorge Luis Borges auf den Geist gingen.
Die Kolano-Knie-Autoren der Nummer 15 müssen allerdings bei der Extrapolierung ihres kollektiven Selbstverständnisses aus dem Gombrowicz-Korpus zugeben: „Die Sache wird dadurch ein wenig kompliziert, dass Gombrowicz sich mit dem Versagen an sich niemals auseinander setzte.“
Ihr Text beginnt folgendermaßen: „Marion Gräfin Dönhoff bricht am frühen Vormittag zu Ross aus Danzig auf. Der Vielfraß macht sich aus Bromberg auf den Weg. Neben Lauenburg in Pommern fasst er sie.“ Sodann heißt es weiter: „Am Anfang muss etwas misslingen. Lopez Mausere ist das von Meike geborgte Akkordeon abhanden gekommen, Ania Witczak hat es gefunden, spielte ein paar Akkorde, es klappte, also gründete sie die Band ‚Dikanda‘, die jetzt eine glanzvolle Karriere macht . . .“
Letzte Meldung: Die polnische Künstlerkneipe Miszliczka (Jägerstübchen) in der Schlesischen Straße wechselt gerade den Besitzer, die Stammkundschaft wird gebeten, auf die umliegenden wawetschkas (Bierbänkchen) auszuweichen.
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