piwik no script img

hamburger wahlkampf-szeneTacos, Techno und Tischtennis

Schon von einigen Dutzend Metern Entfernung kommt einem der dumpfe Bass der Musik entgegen. Vor der Eingangstür stehen ein paar Raucher*innen. Mit Getränk in der Hand unterhalten sie sich. Es ist Samstagabend und die Szenerie wirkt wie vor einer beliebigen Hamburger Clubtür.

Nur ist hinter der Tür kein Club, sondern die Sporthalle der Telemannschule im Stadtteil Eimsbüttel. Und die wird an diesem Abend von der Linkspartei genutzt, um Bürgerschaftswahlkampf zu machen: „Schlag deine Eimsbüttler Direktkandidierenden beim Rundlauf an der Platte“, bewarb sie zuvor ihre etwas andere Wahlkampfveranstaltung, bei der Wäh­le­r*in­nen bei Techno-Tischtennis mit den Kan­di­da­t*in­nen in Kontakt kommen sollen.

Das ist derzeit vor allem bei jungen Menschen in der Hamburger-Technoszene beliebt. Das Konzept ist relativ selbsterklärend: Tischtennisplatten stehen meistens in einem Club verteilt und während ein*e DJ Technomusik auflegt, wird Tischtennis im Rundlauf gespielt.

Auf dem Weg zum Eingang sind einige Wahlplakate drapiert. Statt Tür­ste­he­r*in­nen begrüßen die Bürgerschaftskandidierenden Heike Faust-Benecke und Jan Libbertz die Technofans persönlich an der Tür. Abgedunkelte Fenster, Schwarzlicht und ein professionell wirkendes DJ-Pult lassen einen dann aber fast vergessen, dass es sich bei der Location nicht um das „Südpol“ oder das „PAL“, zwei von Hamburgs bekanntesten Technoclubs, handelt. Selbst die Outfits vieler Be­su­che­r*in­nen schreien mehr nach Clubabend als nach Wahlkampfveranstaltung.

Erst die Matratzenwägen und der mit bunten Linien beklebte Linoleumboden lassen erahnen, dass man sich hier in einer ganz normalen Schulturnhalle befindet. Um drei Tischtennisplatten tummeln sich rund 30 Leute. Die DJs sind motiviert und tanzen bereits zur eigenen Musik. Auch die Be­su­che­r*in­nen tanzen in den kurzen Pausen während des Rundlaufs, lachen miteinander. Außer der rot leuchtenden Knicklichter deutet nichts mehr auf eine politische Veranstaltung hin.

Direktkandidat Jan Libbertz sagt, die Linke wolle mit ihrer Idee zeigen, wie es aussehen könnte, wenn die Partei regiert. Kultur und Freizeitangebote müssten niederschwelliger werden. „Es gibt kaum kostenlose Angebot für junge Erwachsene und Jugendliche“, sagt Libbertz.

Zwei 24-Jährige – die eine mit Sonnenbrille und in schwarzem Rave-Outfit, der andere in Jogginghose – waren im Vorfeld skeptisch, ob sie hingehen sollten. Die Veranstaltung hätte für sie „Cringe-Potential“ gehabt. Das habe sich aber nicht bewahrheitet.

Auch eine 16-Jährige aus der Nachbarschaft ist mit ihren Freun­d*in­nen da. „Wir interessieren uns für linke Politik und mögen Techno“, sagt sie. Da würden also beide Interessen zusammenkommen. Und: Bei der Bürgerschaftswahl darf bereits ab 16 Jahren gewählt werden. Es wird also die erste Stimmabgabe für die Jugendlichen.

Zwei 24-Jährige waren vorher skeptisch: Die Wahlkampfveranstaltung habe „Cringe-Potential“ gehabt. Das habe sich aber nicht bewahrheitet

Es ist nicht die einzige ungewöhnliche Idee, mit der die Hamburger Linke in den Wahlkampf gezogen ist. „Auf eine Cola mit Carola“ lädt die Bürgerschaftsabgeordnete Carola Ensslen zur Sprechstunde; unter dem Motto „Eat the Rich“ gab es vergangene Woche kostenlos Tacos an einem Foodtruck. Kreative Ideen sind auch nötig, schließlich ist derzeit tiefster Winter. Die Tage sind kurz, die Straßen leer. Wer hat schon Lust bei Minustemperaturen länger als nötig Halt an irgendwelchen Straßenständen zu machen, um über Politik zu reden?

In der Turnhalle ist es hingegen kuschelig warm. Und wer von der Kälte draußen noch etwas friert, hat sich beim Rundlauf schnell warm gespielt. Oder: Warm getanzt. Immerhin diese Herausforderung des winterlichen Wahlkampfs hat die Linke schon mal gelöst.

Marie Dürr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen