hamburger szene: Komplizierte Solidarität am Rothenbaum
Das Gästehaus der Hamburger Universität ist ein gutbürgerlicher Mehrfamilienbau an der tagsüber vielleicht etwas lauten Rothenbaumchaussee, aber das beruhigt sich am Abend, und der Uni-Campus ist halt so nah. In den Vortragsraum hat an diesem Mittwochabend die Friedrich-Naumann-Stiftung geladen, eine Institution des bundesdeutschen Liberalismus. In ihrem Veranstaltungsprogramm finden sich neben Erwartbarem wie einem Webtalk „Die Zukunft des Freihandels“ längst auch „virtuelle“ Kursangebote zum Umgang mit Kränkungen (mit einer „Mimikanalystin“).
Aber es gibt eben auch noch – oder wieder – die ganz klassische Vor-Ort-Veranstaltung. Bei freiem Eintritt stellt an diesem Abend Rafael Seligmann ein Buch vor. Seligmann, geboren 1947 in Tel Aviv, da gab es noch keinen Staat Israel, ist Politologe, aber vielleicht besser bekannt durch seine Romane, auch über seine insofern, tja, deutsch-palästinensische Familiengeschichte hat er wiederholt geschrieben.
Jetzt hat er ein Buch mitgebracht über „Brandstifter und ihre Mitläufer“, passend zum sich neigenden US-Wahlkampf also und überhaupt unsere Zeiten, da allerorten denen Verantwortung zugetraut wird, die mit ganz besonders einfachen Lösungen werben. „Putin – Trump – Netanyahu“, das steht auch auf dem Buchtitel, und „Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann“.
Moment – Netanyahu? Das kann nicht unwidersprochen bleiben, muss sich der Zuhörer im Tweedjacket gedacht haben, der bei der Nennung des Namens ganz kurz laut wird. Weshalb Seligmann und der ihn befragende Meinhard Schmidt-Degenhard ihm sogar kurz das Wort einräumen – „ein Unding“ sei’s, legt der erkennbar gebildete Wutbürger los, dass da auch „ein gewählter Ministerpräsident eines demokratischen Staates, der umgeben ist von lauter Scheißlochländern“ eingereiht wird. Dass er sich der arg herrenreiterischen Trump’schen Vokabel „shit hole countries“ bedient, wird ihm dabei klar sein – später will er auch den früheren US-Präsidenten selbst ausgenommen wissen von Seligmans Kritik.
„Sie ersparen ihren Anhängern das Denken“: So beantwortet Seligmann die Frage nach dem Erfolg der im Buch Beleuchteten. Er selbst muss sich so einen Vorwurf nicht machen lassen: Der da darüber spricht und schreibt, wie Bibi Netanyahu Israel geschadet habe, ist zugleich bekennender Zionist – zwei Informationen, die derzeit in nur sehr wenigen deutschen Köpfen nebeneinander bestehen können: Da geht Solidarität allzu oft nur um den Preis jeder Nuance, und Feindschaft erst recht. Nur einen gespuckten Wassermelonenkern weit weg standen vor Kurzem auch noch die Zelte eines angeblich palästinasolidarischen kleinen Zeltlagers,, an dem jüdische Studierende viel zu lange nur ungern vorbeigingen. Alexander Diehl
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