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gutmenschenOpfer haltloser Medien

Die Ministerin und der Friseur

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, so wollte es Goethe und so wollen es auch die Bundesfamilienministerin und ein Friseur. Gestern erschienen sie in Turnschuhen in der künftigen Arztpraxis für Obdachlose am Ostbahnhof, deshalb ließ sich Udo Walz, Haarschneider der Betuchten, einen Zeitungshut aufsetzen.

Im August hatte Christine Bergmann als Schirmherrin des Projekts der MUT-Gesellschaft den Grundstein gelegt und Arbeitseinsatz versprochen. Nun sollen Taten folgen. Sie ziehen das Freiwilligen-Shirt über und intonieren vorschnell ein „Wer will fleißige Handwerker sehen, der muss zu uns Freiwilligen gehn“.

Oh schöner Traum vom heimlichen Handwerksglück., du zerrinst so rasch im Pressegetümmel. Da heißt es lächeln mit dem unbenutzten Pinsel in der Hand und sich dem Willen der Medienmenschen beugen. Herr Walz auf der Leiter, Frau Bergmann vor der Wand, Gesang dazu – die Arbeit ruht. Schließlich überkommt einen der Kameramenschen ein mildes Gefühl. „Weitermachen“, sagt er zu den Malwilligen.

Bergmann und Walz nutzen ihre Chance mit weiten Pinselschwüngen. Die übrigen Freiwilligen rücken freudig die Leiter: „Frau Bergmann adelt den Laden, wenn sie hier malt.“ Vorbei. Die Presse kehrt zurück. Wie gefällt Herrn Walz Frau Bergmanns Frisur? Wie findet Frau Bergmann die Zusammenarbeit? Wollen sie nun Anstreicher werden?

Unter der weiß gestrichenen Wand schimmert es grünlich. Frau Bergmann fährt ein bisschen drüber. Die Ministerin und der Friseur müssen ihre Arbeit beenden. Eine Wandseite, einmal vorgestrichen. „Es ist wichtig für die Sache“, sagt eine Freiwillige. Kein großer Trost für die Edlen und Hilfreichen. Opfer eines entfesselten Medienapparates, der das Gute nicht kennt.

FRIEDERIKE GRÄFF

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